28. 6. 46
…nun aber zur Fortsetzung meiner Geschichte, sonst wird sie nie fertig!
Die Militärbehörde bestand aus einem stockungarischen Feldwebel, der kein Wort Deutsch konnte. Die Unterhaltung wurde mittels Dolmetsch geführt. Es wurde uns eröffnet, dass wir an die slowakische Grenze abgeschoben würden. Vergeblich wies ich darauf hin, dass wir politische Flüchtlinge seien und wenn man schon glaube, uns abschieben zu müssen, solle man uns doch an die jugoslawische Grenze abschieben. Als ich ihm mein altösterreichisch-ungarisches Offizierspatent zeigte, kratzte er sich am Kopf und telefonierte das Divisionskommando an. Aber dort hieß es, Befehl ist Befehl. Wir bekamen ein gutes Mittagessen und dann nahmen uns zwei Klacheln[1] in die Mitte und wir stapften durch den tiefen Schnee zurück zur Grenze – zirka vier Stunden lang. Die beiden Soldaten sprachen wieder nur Ungarisch, unglücklicherweise waren es Honvéd[2]. Doch unterwegs trafen wir einen Juden, den ich als Dolmetsch engagierte und durch ihn bot ich den beiden Soldaten je 10 Pengö[3] an, wenn sie uns nicht ganz bis an die Grenze bringen würden. Sie nahmen begeistert an und bestanden fortan darauf, unsere Aktentaschen zu tragen, eine Freundlichkeit die wir damit erwiderten, dass wir sie in jedes Wirtshaus, das am Wege lag, zu einer Flasche Wein einluden, bis wir alle vier reichlich angesäuselt waren. Als wir der Grenze nahekamen, führten sie uns in einen alten verfallenen Holzschuppen, machten uns mit Zeichen klar, dass wir uns dort bis sieben Uhr abends versteckt halten sollten, wiesen uns die Richtung zurück nach Ungarn, nahmen grinsend ihre versprochenen Pengös, schüttelten uns die Hände und verdufteten.
Fünf Stunden später waren wir mit einem Bauernschlitten wieder in der ungarischen Stadt und der Bauer fand unseren Kaffehausbesitzer. Mit ihm verbrachten wir, von Haus zu Haus gehend, fast die ganze Nacht. Aber alle Leute die er anging, lehnten ab uns aufzunehmen, weil sie sich fürchteten. Endlich gegen fünf Uhr früh erbarmte sich eine jüdische Familie unser und wir konnten bleiben.
In der Früh stellte sich heraus, dass infolge neuerlichen Schneefalls der Eisenbahnverkehr eingestellt worden war; wir saßen drei Tage fest. Die Leute waren rührend, sie bestanden darauf, uns ihr Schlafzimmer abzutreten und wollten kein Geld für Wohnung und Essen nehmen. Am vierten Tage führten der Hausherr und drei Freunde uns zum Bahnhof.
Auf dem Wege zitterten wir natürlich vor jedem Polizeimann, da uns von denen ja fast jeder kannte. Die Leute nahmen unsere Fahrkarten und fuhren mit uns, weil sie sagten, dass der Zug so nahe der Grenze auf jeder Station von Gendarmen durchsucht werde, die jeden fremd Aussehenden zur Ausweisleistung anhielten. So nahmen die Vier uns in die Mitte, drückten jedem von uns eine ungarische Zeitung in die Hand und so oft ein Gendarm durchging, brüllten sie ungarisch auf uns ein.
Der Zug sollte gegen sieben Uhr abends in Budapest sein. Gegen fünf Uhr blieben wir in einer Station im Schnee stecken und standen dort die ganze Nacht. Als wir uns im Bahnhofsbuffet aufwärmten, erschien plötzlich ein Polizeimann, stierte mich wortlos an, aber als die vier Ungarn auf mich einsprachen, schüttelte er den Kopf und ging weiter. Ich hatte schon geglaubt, wieder in die Wachstube wandern zu müssen. Dann erfuhr man, dass ein internierter polnischer Offizier am Tag zuvor geflohen war, und dem scheine ich etwas ähnlich gesehen zu haben.
Um zehn Uhr vormittags kamen wir in Budapest an und fuhren im Taxi zur französischen Gesandtschaft, wo in einem Hinterzimmer einige tschechische Beamte damit beschäftigt waren, die eintreffenden Tschechen, die am Wege nach Frankreich waren, in Quartieren unterzubringen und dann in Gruppen von 20 über die jugoslawische Grenze zu schmuggeln.
Mein Student war natürlich allright. Mir sagte man, dass man aus Prag gar nichts von mir gehört habe, nichts von irgend einem Geld wisse, das ich bekommen solle, dass ich wohl ein Spitzel sei, dass man mich nicht brauche, nicht unterbringen würde. Ich solle dorthin zurückkehren woher ich gekommen sei. Alle Losungsworte und der übrige Hokuspokus wurden als gänzlich unbekannt erklärt, mit einem Wort, man schmiss mich hinaus.
Und da stand ich auf der Straße mit kaum mehr als 20 Pengö in der Tasche! So sah die Oberleutnantsgage aus, die ich sofort in Budapest bekommen würde, nebst der Hälfte des von mir in Prag einbezahlten Betrages, es war wohl die jämmerlichste Situation in der ich mich je befunden habe.
Also verkaufte ich zuerst meine Platinmanschettenknöpfe und zwei Zigarettenetuis für siebzig Pengö und mietete mich in einer ausgesprochenen Verbrecherherberge ein. Dort teilte ich ein Zimmer mit drei Männern und zwei Frauen, bestand aber auf einem eigenen Bett. Die anderen schliefen zu zweit und dritt und ich zahlte dafür wie im Hotel Hungaria.
Mein nächster Weg führte zur englischen Gesandtschaft, wo mich der Militärattaché empfing, sich meine Geschichte von A bis Z mit Interesse anhörte und mich über alles Mögliche bezüglich meine Erfahrungen in der ČSR und unterwegs ausfragte. Zum Schluss sagte er, wenn es mir gelingen könnte nach England oder wenigstens nach Frankreich zu gelangen, so würde mich die englische Armee sicher brauchen können, aber in Budapest könne er mit mir nichts anfangen – weil es keine Weisungen diesbezüglich gäbe. Er gab mir aber eine Empfehlung an eine bekannte Amerikanerin und verlieh der Hoffnung Ausdruck, dass diese mir irgendwie weiterhelfen würde. Die Amerikanerin gab mir fünfzig Pengö und eine Empfehlung an eine Engländerin. Von der bekam ich wieder fünfzig Pengö und eine Empfehlung an einen englischen Pastor…
[1] Großgewachsene, derbe Kerle
[2] Magyar Királyi Honvédség: Königlich ungarische Landwehr.
[3] Nach der ungarischen Währungsreform 1927 entsprach der Wert von 1 Gramm Gold etwa 1,35 Pengö.