Skip to content

Heinrich/Jindrich/Henry reist in den Krieg – und zurück (Teil IV)

5. 7. 46

…also die Geschichte:

Am Abend des dritten Tages wurden wir plötzlich auf das Bahnhofpolizeiamt gebracht, wo uns der Polizeikommissär eröffnete, dass das Ministerium des Innern in Belgrad telegraphisch unsere Ausweisung und Abschiebung an die ungarische Grenze angeordnet habe. Wir mussten jeder ein Ausweisungsprotokoll unterschreiben, von unseren Protesten nahm er keinerlei Notiz. Wir wurden von bewaffneten Gendarmen zu einem Zug gebracht und in zwei reservierte Abteile gesteckt, ein Gendarm vor jeder versperrten Tür.

Wir fragten durch das Fenster den Schaffner, wohin der Zug ginge, und als wir hörten: Zur ungarischen Grenze, glaubten wir, dass es jetzt aus sei mit uns. Der Zug setzte sich in Bewegung und nach einiger Zeit erlosch im Waggon das Licht. Unmittelbar darauf blieb der Zug auf offener Strecke stehen. Der Gendarm öffnete die Türe, bedeutete uns ruhig zu sein und führte uns aus dem Zug heraus. Auf dem anderen Geleise stand ein Gegenzug in den wir hineingeschubst wurden, in einen leeren Wagen, in dem uns ein anderer, unbewaffneter Gendarm erwartete, diesmal grinsend übers ganze Gesicht.

Beide Züge setzten sich in Bewegung und endlich erfuhren wir des Rätsels Lösung. Am Tage vor unserem Grenzübertritt hatte der deutsche Gesandte in Belgrad einen an ein Ultimatum grenzenden Protest gegen die fortgesetzte Schleusung von Tschechoslowaken durch Jugoslawien überreicht und sofortige Einstellung gefordert, also hatte was geschehen müssen. Unsere unterschriebenen Ausweisungsprotokolle würden der deutschen Gesandtschaft übermittelt werden – wir aber waren im Zug nach Belgrad.

Auf der nächsten größeren Station war in der Restauration schon ein Tisch für uns gedeckt und wir bekamen ein fabelhaftes Essen, zu dem uns der Stationsvorstand und zwei Offiziere, die über Alles unterrichtet waren, einluden. Und nun waren wir wirklich entronnen. In der Früh kamen wir in Belgrad an und wurden bei einem slowakischen Verein einquartiert. Alles zusammen schliefen wir ungefähr achtzig bis hundert Mann in einer Fünfzimmerwohnung.

Glücklicherweise war in Belgrad ein sehr netter und gescheiter tschechischer Nachrichtenoffizier, dem ich meine ganze Geschichte erzählte und der mich etwa drei Stunden sehr eindringlich verhörte. Am Ende schüttelte er mir die Hand, erklärte, ich sei in Ordnung und wenn die französische Militärbehörde mich assentiere[1], würde ich meine Reise nach Frankreich zu unserer Armee auf Staatskosten als Oberleutnant fortsetzen. So kam ich also zur Assentierung durch den französischen Militärarzt auf der französischen Gesandtschaft in Belgrad.

Nun war mein Gesundheitszustand ein solcher, dass bei einer Untersuchung kein Militärarzt der Welt mich als kriegsdiensttauglich hätte erklären können, so dass ich das Untersuchungszimmer mit sehr wenig Hoffnung betrat. Da geschah, wie so oft während dieser Jahre, ein Wunder. Als ich das Zimmer betrat, sagte der uns vorführende tschechische Konsul in schlechtem Französisch zu dem Stabsarzt: „Le monsieur est un docteur“. Worauf sich der Stabsarzt auf mich stürzte, mich umarmte und begeistert war – er glaubte, ich sei ein Arzt und ich wurde im Triumph und ohne jede Untersuchung für die französische Armee assentiert und bekam einen französischen Offizierspass für die Reise.

Von einer meiner englischen Gönnerinnen in Budapest hatte ich eine Empfehlung an einen serbischen Universitätsprofessor, der mit einer Engländerin verheiratet war. Dort war ich jeden Abend eingeladen und bekam dreihundert Dinare aufgedrängt um mir das Nötigste kaufen zu können, denn in der Aktentasche, mit der ich Prag verlassen hatte, war nicht viel Platz. So kaufte ich mir einen kleinen Koffer und viele kleine Unentbehrlichkeiten, die erste Oberleutnantsgage sollte ich erst in Frankreich bekommen (da lachen die Hühner – wie Du später sehen wirst).

Nach zehntägigem Aufenthalt in Belgrad wurden wir – ein Transport von etwa fünfzehn Offizieren und fünfzehn Mann unter Kommando eines Majors und mit enormen Fresspaketen versehen in den Zug gesetzt (fein, II. Klasse) und dampften nach Saloniki. Dort übernachteten wir im Hotel und fuhren weiter nach Konstantinopel, wo wir zwei Tage blieben und eine Vergnügungsfahrt auf dem Bosporus unternahmen. Dann drei Tage und Nächte quer durch Kleinasien nach Aleppo[2], wo wir Gäste des französischen Offizierskorps waren.

Mitten in Kleinasien, um zwei Uhr nachts, auf einer kleinen Station, wartete ein Tscheche auf jeden dieser Transporte und brachte Schinken, Würste und Berge von Buchteln in den Zug. In der Nähe war ein Dorf mit einer kleinen tschechischen Kolonie. Von Aleppo weiter, zirka vierundzwanzig Stunden über den Libanon nach Beirut. Hier kamen die Offiziere in ein sehr schönes Hotel, die Mannschaft in ein französisches Militärlager – von Negern. Und hier fangen die Hühner an zu lachen – aber erst in der nächsten Fortsetzung…


[1] Für den Militärdienst tauglich erklären

[2] Der Völkerbund hatte 1923 das Mandat fürs damalige Syrien (inkludierte uA auch den heutigen Libanon) formell an Frankreich übertragen

Published inAllgemeinZwischenwelt International
Konstantin Kaisers Blog
Privacy Overview

Diese Website verwendet Cookies, damit wir Ihnen die bestmögliche Benutzererfahrung bieten können. Cookie-Informationen werden in Ihrem Browser gespeichert und führen Funktionen aus, wie das Wiedererkennen von Ihnen, wenn Sie auf unsere Website zurückkehren, und hilft uns zu verstehen, welche Abschnitte der Website für Sie am interessantesten und nützlichsten sind.