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Heinrich/Jindrich/Henry reist in den Krieg – und zurück (Teil III)

3. 7. 46

…fahre ich gleich mit meiner Geschichte fort, damit die endlich einmal fertig wird.

Also, der englische Pastor hatte ein Heim für Obdachlose oder dergleichen und die Engländerin, der ich von meinem Verbrecherquartier erzählte, hoffte, dass er mich dort wohnen lassen würde. Als der alte Knabe aber hörte, dass ich keinen gültigen Pass und kein ungarisches Visum hätte, schüttelte er sich vor Entsetzen über die Zumutung, mich in sein Heim aufzunehmen und dies mit Recht.

Also gab er mir wieder einige Pengönoten mit seinem Segen und wieder eine Empfehlung an eine Engländerin. So schnorrte ich weiter, bis ich zirka dreihundert Pengö beisammen hatte, von denen ich zweihundert brauchte, um nach Jugoslawien zu kommen. Mein Mediziner hatte mich nämlich indessen mit einem der Leute zusammengebracht, die die für die Auslandsarmee bestimmten Tschechen in Gruppen von jeweils zirka zwanzig Mann über die ungarisch-jugoslawische Grenze schmuggelten.

Dieser Wohltäter erklärte sich bereit, mich gegen Bezahlung von zweihundert Pengö als „Privatreisenden“ mit seiner nächsten Gruppe mitzunehmen. Und so dampfte ich eines schönen Abends mit einer solchen Gruppe, in der sich auch einige Frauen und ein slowakischer Militärkaplan befanden, nach zirka vierwöchentlichem – unvergesslichem – Aufenthalt im schönen Budapest ab.

Einige Stationen vor der Grenze verließen wir den Zug, fuhren mit Schlitten, die auf uns schon warteten und gingen zirka zwei Stunden durch den unvermeidlichen Schnee. Kurz nach Morgengrauen passierten wir einen Grenzstein und alle brachen in begeisterte Freudenrufe aus, umarmten einander etc. – denn das war die Freiheit. Man war der Gestapo entronnen. Alle bisherigen Transporte dieser Art waren bisher immer vom jugoslawischen Militär jenseits der Grenze geradezu im Triumph empfangen, bewirtet und ohne weitere Formalitäten umsonst nach Belgrad weiterbefördert worden.

Wir aber waren nach kaum fünf Minuten von einer Patrouille mit vorgehaltenen Gewehren umzingelt, der Anführer, ein kroatischer Feldwebel, erklärte uns kurz, dass er strengen Befehl habe, keine Tschechen und Slowaken mehr durchzulassen. Die Frauen heulten, der Militärkaplan kniete nieder und alle beschworen den „slawischen Bruder“, Vernunft anzunehmen. Es war alles umsonst, Brüderlein trieb uns mit Bajonetten über die ungarische Grenze zurück, gerade zur kritischen Zeit, in der die ungarischen Grenzpatrouillen in jedem Augenblick zu erwarten waren.

Ungefähr die Hälfte der Gruppe erklärte, es aufzugeben, und beschloss, sich den Ungarn zu stellen. Wir andern trennten uns, um einzeln an verschiedenen andern Punkten wieder unser Glück zu versuchen. Die ganze Grenze war mit Drahthindernissen abgeschlossen und wie man einen Draht auch nur berührte, läutete eine Alarmglocke und schon hatten sie einen.

Ich kam glücklich durch, aber eine halbe Stunde später rannte ich direkt in zwei Soldaten hinein, die mich jedoch glücklicherweise nicht zurück zur Grenze, sondern zum Kompaniekommando schleppten. Alle paar Minuten wurde ein anderer von unserer Gruppe eingebracht und nach zirka zwei Stunden waren wir zehn wieder beisammen – alle die nicht aufgegeben hatten. Keine Maus konnte dort durchkommen.

Der Kompaniekommandant erschien, entschuldigte sich und schimpfte auf seine Regierung, die insgesamt wahnsinnig geworden sein müsse, denn der Befehl von Belgrad, keine Tschechoslowaken mehr durchzulassen, sei tatsächlich in der Nacht telegraphisch gekommen. Er fluchte eine halbe Stunde mit seinem vorgesetzten Kommando ins Telefon hinein und setzte durch, dass er uns nicht an die Grenze abschieben, sondern dem Divisionskommando in der nächsten Stadt überstellen könne.

Nachdem wir sehr gut bewirtet worden waren, wurden wir abtransportiert und in der Stadt von einem alten Major mit einem enormen weißen Schnauzbart verhört. Wie vom Kompaniekommandanten instruiert, bestritten wir alle, auf dem Wege zur Armee in Frankreich zu sein und erzählten alle möglichen Geschichten. Er brüllte wie ein Löwe, mitten im Gebrüll fing er an zu lachen, klopfte jedem von uns auf die Schulter, sagte er wisse schon, was mit uns los sei, wir sollten es „ihm“ nur geben und er werde uns schon heraushauen.

Nach dem Verhör wurden wir auf das Polizeiamt gebracht und in einem Reserveschlafsaal der Polizeimannschaft untergebracht. Dort saßen wir drei Tage, bekamen gutes Essen, Wein und Zigaretten, durften aber das Haus nicht verlassen. Fragen, was mit uns weiter geschehen würde, erklärte man, nicht beantworten zu können.

Published inAllgemeinZwischenwelt International
Konstantin Kaisers Blog
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