Eine Erinnerung an den österreichischen Beitrag
Von Konstantin Kaiser
Der Streit um Peter Handkes Nobelpreis war ein Vorspiel zu dem, was 2022 in der Raserei der Lüge offenbar wurde. Es ging erstens um die Frage, ob ein politisches Verhalten Handkes, so seine Teilnahme am Begräbnis Miloševićs, seine notdürftig verhüllte Beschönigung und Leugnung des Verbrechens gegen die Menschlichkeit im „Silberstädtchen“ Srebrenica, seine Verhöhnung der bosnischen Opfer, alles eigentlich nachlesbar in dem „Die Fahrt im Einbaum“-Theaterspiel, in Verbindung mit seiner Preiswürdigkeit gebracht werden dürfe.
Vor allem bosnische AutorInnen sahen diesen Zusammenhang angesichts der immer noch nur schleppend forensisch und judiziell geklärten Verbrechen gegen bosnische Frauen und Männer in den Jahren 1992-1995.
Die Anderen wiederum beharrten darauf, dass es sich hier um eine Frage der literarischen Bedeutung Handkes handle und nicht um sein politisches Fehl- oder Wohlverhalten. Sie gingen sogar so weit, Handkes demonstratives Misstrauen gegen die von den „Massenmedien“ rapportierten Fakten und Deutungen als eine Qualität seines großen Künstlertums zu preisen oder – einzupreisen. Sie trennten also zwischen ästhetischer Qualität und der politischen Einstellung und moralischen Haltung des Preisträgers, ganz im Sinne jener Entmoralisierung, die sich mit dem Aufkommen des rassistisch begründeten Antisemitismus vollzogen hatte und immer nicht überwunden ist.
Manche österreichische TeilnehmerInnen der Debatte gebärdeten sich, als würde sie die Frage nicht angehen: Handke sei Österreicher und vor allem Kärntner und damit basta! Die österreichischen selbsternannten VerteidigerInnen Handkes erwiesen sich als seine GesinnungsgenossInnen in dem Glauben, dass der von Milošević in den Ruin geführte Bundesstaat Jugoslawien ein zu Bewahrendes, zu Verteidigendes gewesen sei.
Sie könnten froh sein, dass heute kein faschistischer serbischer Hegemonialstaat Österreichs Nachbar ist, sondern das demokratische Slowenien, dem (und nicht Serbien) sie eifrigst reaktionären Nationalismus vorwarfen, und dies in dem Moment, in dem sich auf der Grundlage nationaler Selbstbestimmung und staatlicher Unabhängigkeit in Slowenien eine demokratische Ordnung etablierte. Ähnlich verhielt es sich mit Kroatien, wenn dieses Lehrbeispiel auch nicht ganz so reinlich aus den Umständen heraus zu präparieren ist.
Die wackeren Handke-Verteidiger betätigten sich, für Handke Partei ergreifend, als „Völkerrechtsexperten“, die neuerlich Anlass sahen, an die völkerrechtswidrigen Bombardierungen 1999 der NATO hinzuweisen, die dem Krieg und den Massenvertreibungen im Kosovo Einhalt gebieten sollten – was in der Tat auch erreicht wurde. Dies, das Gespenst der wie eine Boa Constrictor sich um die imperialen Träume des russischen Kernlandes sich schlingenden NATO blieb als stehendes Motiv bis 2022 erhalten.
Es gelang den Anhängern des serbischen Regimes sogar, die Schuld an den innerjugoslawischen Kriegen auf den Nationalismus der eben entstandenen neuen Staaten zu schieben, und das ganz losgelöst davon, dass es Serbien war, das den Krieg zuerst in die anderen Teile Jugoslawiens trug. Eine perfekte Umkehrung! Begründet wurde damit das weiterhin virulente wirre und verlogene Denken, welches die Chronik der Geschehnisse verleugnet – mit dem Recht der Unwissenheit! Wenn man Handke wirklich etwas vorwerfen muss, dann dies, dass er sich literarisch als der Pate solcher Antiaufklärung betätigt hat.
Die vielen Unklarheiten, die der Streit um die innerjugoslawischen Kriege hinterlassen hatte, gefördert durch lokale Geistesgrößen wie Rudolf Burger und Erwin Riess, sind bis heute nachteilig für das Erfassen der Wirklichkeit.