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„Von Zwischenwelt im Exil zu Zwischenwelt International“

Von Konstantin Kaiser

Einführung gehalten in gekürzter Form am 16.12.2024 bei der Präsentation „Zwischenwelt International“: ein Ort, wo man sich im Widerstand gegen die Lüge verbinden kann. Mit Konstantin Kaiser, Rainhard Kloucek, Johanna Mertinz, Wolfgang Mueller, Sonja Pleßl, Sebastian Reinfeldt, Stefan Schocher und Oksana Stavrou, Bezirksmuseum Neubau, Wien.

Einleitend trug Johanna Mertinz das Gedicht Mein Bruder, mein Bruder Ismael der israelischen Dichterin Jaffa Zins vor, aus dem Neuhebräischen übersetzt von der Autorin und Konstantin Kaiser, sowie Iryna Tsilyks Gedicht Neue Parfums, aus dem Ukrainischen übersetzt von Mariana Michailowna Haponenko. Tsilyk wendet sich in dem Gedicht an ihren Mann an der Front, den Schriftsteller Artem Tschech, der sich unmittelbar nach Russlands Überfall auf die Ukraine freiwillig zur Armee gemeldet hat. Auch das bekannte Wunschgedicht Konstantin Kaisers  kam zu Gehör; es war vor einem Jahr von Nahid Bagheri-Goldschmied ins Persische übersetzt worden.

Wie erinnerlich, wurde Konstantin Kaiser im April 2024 die Herausgeberschaft der Zeitschrift „Zwischenwelt“ von heute auf morgen hinterrücks entzogen. Und Sonja Pleßl, deren Mitarbeit an der Zeitschrift prägend geworden war, wurde aus der Redaktion geworfen und als Mitarbeiterin der Theodor Kramer Gesellschaft (TKG) gekündigt, mit der gleichen Post, mit der ihr Mann Konstantin Kaiser fristlos entlassen wurde. Die Stimmen des Protestes ermutigen uns, das Unrecht nicht hinzunehmen und die Arbeit fortzusetzen – was wir zuerst „Zwischenwelt im Exil“ nannten, aus dem wird nun das Projekt „Zwischenwelt International“.

Wovon kommen wir, wohin wollen wir?

Die Zeitschrift der TKG hieß 16 Jahrgänge lang, 1984-2000, „Mit der Ziehharmonika“ nach Theodor Kramers Vers „Schlag ihr Leute, nicht die Harfe, spiel die Ziehharmonika“. Das bedeutete Offenheit fürs Herbe, fürs Scharfe, fürs Bittere, alles, nur keinen süßlichen Schaum. Wir wollten kein Verschönerungsverein sein für die Vergangenheit, auch nicht für Österreich, das sich hässlich und selbstsüchtig lieber kollektiven Schuldgefühlen hingab, als kollektive Verantwortung wahrzunehmen. Wenn es heißt, wir alle seien erst durch die Waldheim-Affäre aufgeweckt worden, so empfinde ich das für mich als eine Verhöhnung, hatte ich doch, um ein Beispiel zu geben, schon 1968 eine Ausstellung Jüdischer Kinderzeichnungen aus Theresienstadt in Innsbruck mitorganisiert.

Wir wollten die Resultate der NS-Herrschaft nicht als Grundlagen unserer Kultur akzeptieren, nicht hinnehmen, dass das Exil abgekapselt blieb von der österreichischen Kultur, ob sie nun in der Zertrümmerung von Klavieren oder in der blinden Verehrung eines Dirigentenstabs bestand. Wir suchten den persönlichen Kontakt mit den lebenden Exilierten, WiderstandskämpferInnen, sahen in ihnen nicht primär Opfer, sondern Verbündete in unseren Bestrebungen. Und instinktiv verstanden wir, dass Mitleid ohne Mitfreude etwas Schäbiges sein kann.

Aber „Mit der Ziehharmonika“ führte allzu sehr ins Volkstümlich-Musikalische, Heimische. „Die Zwischenwelt“ war eine unveröffentlichte Skizze Berthold Viertels überschrieben; in ihr schilderte er das provisorische, unentschiedene Leben der Exilierten, ihr Nicht-da-und-nicht-dort-Sein und sprach die Wahrheit aus, dass Exil eine Unfreiheit ist und keine Befreiung, wie manche AutorInnen glauben, die gelegentlich mit dem „Ins-Exil-Gehen“ kokettieren.

Zwischenwelten sind ja auch die Intermundien des Epikur, in denen er seine Götter wie in Rettungsbooten unterbrachte. Ich verhehle nicht, dass es auch uns, meiner 2012 verstorbenen ersten Frau und Arbeitsgefährtin Siglinde Bolbecher und mir, als den HerausgeberInnen und denen, die unser Spiel mitzuspielen bereit waren, um Rettung ging, darum ging, die Kultur und den Geist des Exils zu retten, denen Vernichtung durch Missachtung, Vergessen, buchstäbliches Wegwerfen drohte, und einen Ort zu schaffen, an dem Texte des Exils und über Exil und Widerstand jederzeit willkommen waren, ohne auf einen Gedenkanlass warten zu müssen.

„Zwischenwelt“ wurde von vielen Exilierten als ihrem Daseinsgefühl entsprechend anerkannt. Der Zusatz „Zeitschrift für Kultur des Exils und des Widerstands“ war keine wohlfeile Werbepackung, sondern Inhalt. Bereits „Mit der Ziehharmonika“ hatte ab dem 10. Jg den Untertitel „Literatur des Exils und des Widerstands“ getragen.

Für uns bedeutete dies alles, dass wir die weitgespanntesten Kontakte zu den über viele Länder verstreuten Exilierten suchten, allerdings ohne Einschränkung auf Exil aus oder in Österreich, aber in ungebrochenem Respekt vor diesem großen österreichischen Exil, dem Herzblut der österreichischen Nation. Das ist es auch, was ich im Verein mit Sonja Plessl und Hannah Menne und wer immer uns strebt nach, weiterhin üben will: eine Kultur des Widerstands leben, das heißt die Resultate von Unrecht nicht hinnehmen. Dazu gehört, den Menschen des Exils und Widerstands mit Respekt zu begegnen, sie also als leibhaftige Subjekte zu sehen, nicht als Beforschungsobjekte. Dazu gehört, sich gegen alle Formen des Irrationalismus und der Menschenverachtung zu wehren, einzutreten gegen die Lügengeflechte, gegen Antisemitismus,  Islamismus, Rassismus, Sexismus und totalitäres Gedankengut, gegen all das, wovon sich die Tyrannei nährt. Dazu gehört der Aufbau von Resilienz und das Lernen von Verbündeten.

„Zwischenwelt International“ sollte sein ein Insektenhotel der Ideen zu unserer Geschichte, zur Abwehr von Lüge und Irrationalität, zur Solidarität mit der Ukraine und mit Israel, zum vereinten Europa. Irrationalität beginnt schon damit, dass man Entsetzen und Abscheu an die Stelle des Verstehens und Begreifens rückt, so wie man einen alten Kasten vor eine Tür schiebt, die man nicht mehr öffnen will. Was sich aber hinter der Tür zusammengebraut hat und weiter zusammenbraut, müssen wir im Interesse der Demokratien, im Interesse eines vereinten demokratischen Europas sehen und auch an Europas Vorgeschichte, die Verbrechen des Sowjetsystems erinnern, einschließlich der unheilbringenden Dogmen, die diese Verbrechen als historische Notwendigkeit erscheinen ließen.

Ein Prinzip von „Zwischenwelt“ war immer die Polythematik, das zwanglose Nebeneinander von Literatur, Wissenschaft, Bericht, verschiedenster Genres, vom Gedicht, der bissigen Glosse, dem Aphorismus bis hin zum Roman, und Kunst. Das wollen wir beibehalten, um jene gepflegte Langeweile zu vermeiden, die die Literaturbetriebsliteratur derzeit auszeichnet, in der Menschen nicht mehr handeln, sondern nur mehr empfinden.

„Zwischenwelt International“ wird sich ab morgen auf dem Blog konstantinkaiser.at finden, den wir dank unseres Freundes Gustav Freudmann betreiben können, und der schon jetzt ein Versuch in diese Richtung ist. Es finden sich Würdigungen von AutorInnen wie Elazar Benyoëtz, Alfredo Bauer, Nahid Bgaheri-Goldschmied, Lore Segal, Rezensionen von Büchern von Riccardo Calimani, Marlene Streeruwitz, Edgar Morin, Horst Schreiber, Oksana Stavrou. Nota bene: keine Gefälligkeitsrezensionen im Austausch für nette Besprechungen anderswo, wie sie sich jetzt in der vom Vorstand der TKG geraubten „Zwischenwelt“ breitmachen. Petro Rychlo aus Cerznowitz hat seine ursprünglich für „Zwischenwelt“ geplante Rezension bewusst hier publiziert, in Protest gegen die Geschehnisse in der TKG seit der Klagsdrohung des Aktionsradius Wien. 

Ein wichtiges Element sind kritische Glossen, wie zum Beispiel zu „Sehnsucht nach Frieden“ und der Selbstentmündigung, sich hinter Matthias Claudius verstecken zu wollen, zur niederösterreichischen Landeshymne, zum Karl-Lueger-Denkmal, zu Karl Renner, über einen besserwisserischen Redakteur des linken Magazins „Tagebuch“. Die Einträge auf einer Links-Rechts-Skala bilden die Realität nicht mehr ab.

Dazu kommen Gedichte und kurze Essays, zum Beispiel über „nachsowjetische Übel“, den Zustand der „Linken“, über Nationalismus, die neue „Heilige“ Allianz der Despoten und Autokraten, die Dämonisierung des Krieges. Über die Letzte Ausstellung von Memorial findet sich ebenso ein Bericht wie die Erinnerung daran, dass die Lügenpropaganda der Hamas kein Journalismus ist.

Es finden sich Berichte über Vorträge, Initiativen und Begegnungen, Wien, Bratislava, Berlin, Moskau – mit offenen Augen schauten wir und werden es weiter tun. Und Bilder, wie „Die Ratte als Rattenfänger“ von Leander Kaiser und Kristina Viera Wolfs Bild zum Einmarsch der Warschauer Pakt-Truppen in die Tschechoslowakei: Soldat, der dem Mädchen die Flügel stutzt.

Vorläufig ist hier auch der einzige Platz, auf dem sich Konstantin Kaiser und Sonja Pleßl gegen falsche Behauptungen und Diffamierungen des „neuen Sekretärs“ Dr. Alexander Emanuely und seines Vorsitzenden, Univ. Prof Dr. Peter Roessler wehren können.

Zuletzt wurde behauptet, Sonja Pleßl sei bei der TKG nur zum Schein angestellt gewesen, um das kaiserliche Familieneinkommen zu mehren. Womit mir Betrug nachgesagt wird. Also sind wir jetzt bei Verleumdung angelangt.

Ich hoffe, dass es bald nicht mehr nötig sein wird, darauf einzugehen.

„Zwischenwelt International“ sollte einer von vielen Knotenpunkten der Verbindung von Menschen sein, die dem neuen, todessüchtigen Irrationalismus von multipolaren Atommächten und deren Lügenpropaganda entgegentreten, die festhalten an der Würde des Menschen.

Die Gedichte, die Johanna Mertinz für uns las, weisen in Richtung der gewünschten Internationalität. Demnächst werden Gedichte von Walter Freudmann, die während des japanischen Angriffskrieges gegen China entstanden sind, nachzulesen sein. Freudmann war Arzt auf Seiten der Spanischen Republik gewesen, dann in China. Erinnerungen von Kristina Viera Wolf an 1968 werden demnächst ebenso erscheinen wie das von Sonja Pleßl mit Juri Andruchwoytsch geführte Interview.

Die nächsten Schritte sollten sein, dass nach der bereits installierten Suchfunktion es auch die Möglichkeit geben wird, Leserbriefe oder Stellungnahmen in knapper Form an „Zwischenwelt International“ zu senden. Wir überlegen die spätere Gestaltung in Form eines für AbonnentInnen verfügbaren PDF und für den Herbst 2025 die Herausgabe eines Almanachs „Zwischenwelt International“ in gedruckter Form.

Ein Arbeitsprinzip ist indirekt in meinem Gedicht Empirie formuliert.

Empirie

Eines Tages
drang Licht
durch das vergessene Fenster

Streit entstand
ob es sich bloß
um zuckenden Widerschein
oder um echtes Licht handle

+Es dauerte
ehe man sich entschloß
probeweise
hinauszuschauen

Aus: Konstantin Kaiser: Die Entfremdung ist ein Untermieter der Hoffnung. Lügengedichte und kleine Geschichten. Wien 2022.

Published inZwischenwelt International