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Moralinsaures

Von Konstantin Kaiser

Waldbrunner, Dornauer, Nietzsche
Hannes Androsch verstorben, 11. Dezember 2024

Daran, dass Androsch nach seinem Tod als kritischer Geist gewürdigt wird, stört nicht nur, dass “Geist” als billige Grabbeigabe herhalten muss, sondern auch der bekannte Umstand, dass Androsch keine Gelegenheit für banale Belehrungen ausließ und stets zum Affirmativen aufrief, welches für ihn das Positive und somit das Gute war. So gestelzt ich das vorbringe, hätte Androsch es wohl lächerlich gefunden, war er doch spezialisiert auf das gerade Wort, das als Personenschutz von Lüge und Halbwahrheit den Kritiker in Schranken weist, denn hier werde ehrlich gelogen und bloß ausgesprochen, was verständige Leute ohnehin dächten. 1984 rief Androsch z.B. in einem Zeitungsinterview direkt zur Unaufrichtigkeit auf: Er forderte, das Wort Krise aus dem europäischen Sprachschatz zu streichen. Er hatte selbst zeitweise Schulden und war getrieben, neue Geschäftsfelder zu erschließen und Projekte für Investitionen zu entwickeln. Sicher war er geschickter und intelligenter als ein Rene Benko und außerdem im industriellen Bereich gut vernetzt.

Mit der “Vergangenheitsbewältigung” hatte Androsch weniger Freude. 2006 hielt er zum 100. Geburtstag des langjährigen Industrieministers der Großen Koalition, Karl Waldbrunner, eine Festrede im Parlament. Waldbrunner war 1950-1973 auch Präsident des Bundes Sozialistischer Akademiker (BSA) gewesen. In dieser Funktion hatte er sich zweifelhafte Verdienste um die Reintegration ehemaliger Nationalsozialisten ins Berufsleben erworben. Die Rolle des BSA als Waschanstalt für “Braune Flecken” wurde von Wolfgang Neugebauer und Peter Schwarz in dem Buch “Der Wille zum aufrechten Gang” (2005) dokumentiert. Das Buch erregte den Unmut Androschs.

In einem Interview für die Wiener Wochenzeitung Falter (erschienen Am 22. November 2006) ließ er wissen, dass er auf die kritischen Punkte in Waldbrunners Vita selbstverständlich nicht eingehe. Es werde ohnehin nirgends so viel reflektiert wie in Österreich. Er bewege sich “auf ausreichend antifaschistischem Boden, um sich eine differenziertere Sichtweise zu erlauben: ”Die gegen Waldbrunner vorgebrachten Vorwürfe seien haltlos und die Studie von Wolfgang Neugebauer und Peter Schwarz “Ein Schmarrn”.

Und in seiner Festrede meinte Androsch in bewährter Schuldumkehr über die Ursachen des Faschismus: “Zuletzt triumphierten Nationalismus, Bolschewismus, Faschismus und Nationalsozialismus über die engstirnigen und kurzsichtigen Demokratien der Siegermächte.”

Die wirtschaftliche Not, die Arbeitslosigkeit und die Kriegsreparationen werden immer wieder entschuldigend als Ursachen der Terrorherrschaft des Nationalsozialismus genannt und verdecken grassierenden Irrationalismus, triumphierenden Antisemitismus und Befangenheit in sozialdarwinistischen und geopolitisch-rassistischen Wahnvorstellungen und damit gerade die Faktoren, die auch heute noch und wieder im Fokus der Kritik stehen könnten. Nebenbei charakterisierte Androsch die Bestrebungen Neugebauers und Schwarz’ auch als “moralinsauer” und näherte sich damit terminologisch selbst wieder dem Nationalsozialismus an. “Moralinsauer”, das wollten die Nationalsozialisten mit dem “Willen zur Macht” Nietzsches im Tornister so gar nicht sein.

Aufmerksam auf die Antiaufklärung aus dem Munde Androschs hat mich ein Artikel Karl Pfeifers in der Wochenzeitung “Die jüdische Allgemeine” vom 4.12.2006 gemacht. Zufällig fand ich ihn fast am selben Tag, an dem der ehemalige Tiroler Parteiobmann der SPÖ, der Jagdschütze, Benko-Freund und Porschefahrer Georg Dornauer dafür plädierte, die SPÖ solle sich der FPÖ “öffnen”, und außerdem darauf beharrte, sein Landtagsmandat trotz vermutlicher Straffälligkeit weiter auszuüben. Und worauf berief er sich dabei? auf den weisen Rat von Hannes Androsch, bei dem er vor dessen Tod zu Gast gewesen sei.

Moralinsauer ist der Dornauer nicht, auch wenn sich’s reimt.

Published inAktuelles