Ukrajinský knižný klub – Ukrainisch-slowakischer Literaturklub
Und hier am Anfang gleich ein herzliches Danke – Ďakujem, дякую, an unsere 2 Doppel Conférenciers Michal Hvorecký und Anna Siedykh, slowakisch-ukrainisch, Frau und Mann.
Der Literaturklub findet allmonatlich in der hellen, freundlichen Bibliothek des Goetheinstituts in Bratislava statt, abseits der Turbulenzen der slowakischen Innenpolitik.
Hier ein weiterführender Link diesbezüglich:
Michal Hvorecký, junger aber schon international renommierter, engagierter, slowakischer Schriftsteller, Journalist und Übersetzer, derzeit Leiter der Bibliothek des Goetheinstituts und Anna Siedykh, wirklich junge ukrainisch-slowakische Kulturarbeiterin, Dichterin, Journalistin, Übersetzerin, aktiv beim Klub „Mali Berlin“ in Trnava – das sind die InitiatorInnen und ModeratorInnen des Klubs.
Und mit den Worten von Michal Hvorecký : „Unser ukrainischer Buchclub trifft sich seit über eineinhalb Jahren regelmäßig im Goethe-Institut in Bratislava auf Panenská Strasse 33. Wir haben schon sechzehn Bücher gelesen, hauptsächlich Romane und Kurzgeschichtssammlungen, aber auch Sachbücher über Geschichte oder Minderheiten in der Ukraine.
Als wir den Buchklub gründeten, hatten wir keine Ahnung, ob sich fünf oder fünfzig BesucherInnen treffen, um die Geschichten zu diskutieren. Wir haben in 20 Monaten bereits zwei SchriftstellerInnen, mehrere ÜbersetzerInnen und Literaturwissenschaftlerinnen bei unserem Buchklub begrüßt. Einige Mitglieder kommen jeden Monat, andere ein- oder zweimal, wann immer sie können. Einige haben es geschafft, alle ausgewählten Titel zu lesen, andere haben viel zu wenig Zeit zum Lesen, und hören lieber nur zu. Unter den Mitgliedern sind Berufe wie ein Wirtschaftswissenschaftler, ein Bauunternehmer, ein Redakteur oder ein Literaturprofessor von der Halbinsel Krym, der den russischen Krieg seit 2014 erlebt, als die Besatzer ihm sein Haus wegnahmen und sein ganzes Geld stahlen und er fliehen musste.
Beim Buchklub treffen sich die Menschen, die ihr Zuhause in Mariupol oder im Donbas oder in Luhansk und Kiew verloren und sich in Bratislava oder Trnava niedergelassen haben. Zirka die Hälfte sind UkrainerInnen, die andere Hälfte SlowakInnen. Es bildete sich eine wahre Gemeinschaft. Ich diskutiere gerne mit ihnen über die Bücher, die ich lese, und noch lieber höre ich mir ihre Geschichten an, ihre Schicksale, die durch den brutalen russischen Imperialismus für immer verändert wurden. Andere entdecken ihre ruthenischen Wurzeln (Andy Warhols Eltern waren auch Ruthenen aus der heutigen Ostslowakei) wieder oder wollen ihr noch zu wenig bekanntes Nachbarland besser verstehen.
Lesen Sie auch ukrainische Literatur! Gründen Sie Ihren eigenen Buchklub. Das ist einfacher, als ich dachte….Alle Verlage, an die wir uns gewandt haben, waren freundlich zu uns und gaben uns Rabatte oder schenkten und sogar die Bücher.
Wer verstehen will, warum die freie Welt das totalitäre Russland und Putins Tyrannei im Krieg besiegen soll, besiegen muss, der/die soll ukrainische Bücher lesen. Duže дякую!“
Danke auch an Ganna Gnedkova, die mich auf diesen Buchklub hingewiesen hat – ich schreibe ukrainisch-slowakischer Buchklub, weil die Bücher in der Landessprache, also Slowakisch, gelesen und diskutiert werden, im Gegensatz zu LiterAktiv, von Ganna Gnedkova und Kristina Kasjanova geleitet, das sich an die ukrainische Diaspora in Wien wendet, das ukrainische Geistesleben hier bereichert, und zwar auf ukrainisch und einmal in der Woche stattfindet.
Es war ein sehr wertvoller Hinweis für mich. Aus der inneren Logik meiner eigenen Lebensgeschichte, dem Trauma der Okkupation der ČSSR 1968 und dem nachfolgendem lebenslangen Exil macht es für mich Sinn die Ukraine zusammen mit jenem Teil der slowakischen Gesellschaft zu unterstützen, der nicht von einer seltsamen Amnesie befallen ist.
Es werden also Werke besprochen, die es in slowakischer Übersetzung gibt. Michal Hvorecký und Anna Siedykh fürchteten am Anfang, dass uns bald aus Mangel an Übersetzungen der Stoff ausgeht. Aber es gibt immer neue Übersetzungen!
Es gibt eine schöne Dynamik der slowakischen Zivilgesellschaft, die Solidarität mit der Ukraine und dem ukrainischen Kampf gegen den russischen Aggressor aktiv lebt, weit vom offiziellen Regierungsdiskurs.
Ein exzellentes Beispiel ist die Sammlung für den Munitionsankauf für die Ukraine, vom Fotografen Vladimir Šimiček angestoßen, – „Ammunition for Ukraine – If not the governement, we are sending it“ – denn die Regierung Ficos hat es abgelehnt sich an einer diesbezüglichen Initiative des tschechischen PräsidentenPetr Pavel zu beteiligen.
Und innerhalb von 14 Tagen wurden 4 Millionen Euros gesammelt!
Am Rande bemerkt, die Slowakei produziert sehr wohl Munition für die Ukraine, doch dabei ginge esnur um die Sicherung von Arbeitsplätzen handeln, so der zuständige Minister. Gleichzeitig entschuldigt sich der EU-Parlamentarier Blaha von der Regierungspartei Smer am 14.10.24 in Moskau für die westliche Russophobie.
Zurück zu Michal Hvorecky: „Während der Krieg in der Ukraine andauert, verhärtet sich die Stimmung in der Slowakei gegenüber ukrainischen Geflüchteten zusehends. Der Konkurrenzdruck auf dem Arbeitsmarkt und beim teuren Wohnraum führt zu Spannungen zwischen slowakischen BürgerInnen und den zugezogenen Geflüchteten. Auch deswegen wollten wir mit dem Buchklub ein Zeichen setzen – wir stehen bei der ukrainischen Diaspora und wollen etwas für sie, gemeinsam mit ihr, tun. Das hat sich mit der Zeit bewährt. Inzwischen ist es ein etabliertes Format im Angebot der Hauptstadt.“
Der erste Autor, über den wir gesprochen haben, war Serhij Zhadan, Rockstar, Dichter, Schriftsteller, Aktivist und seit Mai 2024 Soldat. Zhadan ist ein Kultautor in der Ukraine, eine Ikone, möge sie gut gehütet und am Leben bleiben. Sein Buch „Internat“ ist eigentlich ein Antikriegsbuch, meiner Meinung nach und auf jeden Fall sehr empfehlenswert.
Weiters zu unserer Lektüre: Artem Tschech, Jurii Andruchowytsch, Serhij Plokhy – „Die Geschichte der Ukraine“, Andrej Kurkow, Taras Prohasko, Ostap Slyvynsky „Wörter in Krieg“ ein sehr berührender Sammelband- und der Autor war auch anwesend, Olesya Yaremchuk, Alexej Sevruk und als großen Sommerbrocken hatten wir uns Julia’s Andruchowitschs „Amadoka – Epos“ „Geschichte der Romana“, „Geschichte der Uljana“ und „Geschichte der Sofia“, vorgenommen. Sie wird im November an der Buchmesse in Wien teilnehmen.
https://www.residenzverlag.com/autor/sofia-andruchowytsch
An unserem letzten Treffen am 15.10.24 hat Anna Siedykh ihren zweisprachigen Poesieband „ cudzinečnosť“ vorgestellt.
„Cudzinečnosť“ ist eine neue Wortschöpfung im slowakischen, Anna Siedykh spielt hier mit „Fremdheit“ – „cudzosť“, „Entfremdung“ – „odcudzenie“ und vielleicht auch „Einzigartigkeit“ – „jedinečnosť“.
Sie bewegt sich wie ein eleganter, zarter, flinker, kleiner Fisch in bewundernswerter Art im Wasser beider Sprachen – Ukrainisch und Slowakisch. Ein etwas trübes Wasser, manchmal lichtdurchflutet, sinndurchflutend, das Scheinwerferlicht auf den Krieg gerichtet. Ein Fisch dem das Wasser auszugehen droht. Zartheit, Verletzlichkeit, Körperlichkeit und auch Zähheit, Widerstands – wille oder Notwendigkeit.
Ein sehr feinfühliger Umgang mit beiden Sprachen zeichnet Anna Siedykh aus, es gibt keine Übersetzungen aus der einen in die andere Sprache – sondern neue Entwürfe dicht an dem jeweiligen Sprachkörper.
Der Saal war voll, diesmal überwiegend Ukrainer und Ukrainnerinnen, stolz auf ihre junge Autorin.
Es war ein schöner Abend.
Lesen Sie ukrainische Literatur, kaufen Sie ukrainische Literatur, verbreiten Sie ukrainische Literatur!
Wien, am 24. 10. 1024
Kristina Viera Wolf
P.S. im Titel schwingt ein ironisches Augenzwinkern mit einer gewissen Phraseologie mit