Horst Schreibers neues Buch mit Studien über die Verfolgung von „Liebesverbrechen“ im Gau Tirol-Vorarlberg, die Hinrichtung einer sowjetischen Zwangsarbeiter-Widerstandsgruppe in Imst und die an NS-Massenmorden Beteiligten Tiroler Josef Schwammberger und Franz Hausberger demonstriert, dass eine gründliche, quellengesicherte Darstellung durchaus packend sein kann, wozu auch die klare Sprache Schreibers das Ihre beiträgt.
Die Hinrichtung zweier polnischer Arbeiter, denen geschlechtlicher Kontakt zu Tirolerinnen vorgeworfen wird, schildert er ausführlich in ihrer ganzen Rohheit. Das Todesurteil wird im Arbeitslager Kirchbichl in einer für die Verurteilten besonders qualvollen dilettantischen Form vollstreckt. Die Insassen des Arbeitslagers, denen es eine Lehre sein soll, werden gezwungen, ihre aufgehängten Schicksalsgenossen aus der Nähe zu betrachten. Nichts aber anzuschauen haben die Bewohner von Kirchbichl und Häring und darum wird die Richtstätte weiträumig abgesperrt. Hier beginnt der Verdrängungsprozess schon nach kaum vollbrachter Tat. Nichts hat man gehört und nichts gesehen; man war sich auch inne, dass zu viel zu wissen, Probleme bereiten könnte.
Drei Jahre musste die des Liebesverbrechens mit einem Fremdrassigen bezichtigte Annemarie Edenhauser im KZ Auschwitz verbringen. Sie überlebte und kämpfte 14 Jahre lang um eine Entschädigung und um einen Anspruch aus der Opferfürsorge. Der Antrag wurde letzten Endes genehmigt, weil die besondere Diskriminierung der Beziehung zu einem Polen der rassistischen NS-Politik entsprach.
Einer Maria Etzer hingegen (vgl. Maria Prieler-Woldans Buch „Das Selbstverständliche tun“, Innsbruck 2019), die drei Jahre schweren Kerker im bayerischen Aichach verbüßen musste, blieb jegliche Entschädigung verwehrt. Ihr waren zu enge Kontakte zu einem französischen Kriegsgefangenen vorgeworfen worden.
Ihre Bestrafung erfolgte aufgrund des Verbots, sich mit dem Kriegsfeind einzulassen. Und dies sei, wie die Behörde ausführte, auch in demokratischen Ländern verboten gewesen; außerdem wurde das für die alliierten Streitkräfte erlassene Fraternisierungsverbot gegen Maria Etzers Entschädigungsanspruch ins Treffen geführt. Vergleichbar war das alles nicht.
Mit Josef Schwammberger porträtiert Schreiber einen in seiner Habgier und in seinem exzessiven Sadismus kaum überbietbaren NS-Mörder, dessen Untaten ein ‚Vorbild‘ für jene palästinensischen „Freiheitskämpfer“ gewesen sein könnten, die am 7. Oktober 2023 in Kfar Aza bestialisch wüteten.
Es grenzt an ein kleines Wunder, dass Schwammberger, der jahrzehntelang in Argentinien untergetaucht war, in hohem Alter der Verurteilung zu lebenslänglicher Haft dennoch nicht entging und im Kerker verstarb. Schreiber schildert ausführlich die langjährigen Bemühungen auch Simon Wiesenthals, seiner habhaft zu werden, und weist einmal mehr auf den Rektor der päpstlichen „Anima“, den Nazi-Sympathisanten Bischof Alois Hudal hin, der Schwammbergers Flucht nach Südamerika mit ermöglichte.
Der Fall Franz Hausberger endete für Hausberger nicht im Gefängnis. Die Ermittlungen gegen ihn wurden letztlich eingestellt, obwohl er sich auch nach 1945 der Beteiligung an den Mordgeschäften der ersten 1. SS-Infanterie-Brigade im Generalgouvernement, in Weißrussland und der Ukraine rühmte. Der Fall Hausberger ist bekannt; Schreiber stellt die Tatsachen noch einmal überzeugend zusammen. Hausberger verdankte seinen Verbleib in Ehr und Würden vor allem dem Umstand, dass Zeugen, die über seine individuellen Tathandlungen aussagen hätten können, nicht mehr am Leben waren und ihre durchaus vorhandenen, schriftlich niedergelegten Aussagen daher gerichtlich nicht mehr ins Treffen geführt werden konnten. Hier stieß das Mündlichkeitsprinzip der Strafprozessordnung an seine in Österreich allzu gern gezogenen Grenzen. Eine Spruchpraxis, die die organisierte Beteiligung am Verbrechen des Völkermords, d.h. in dem Fall die Zugehörigkeit zu einer Mordbrigade, als solche schon strafbar machte, war zu Hausbergers Zeiten als Bürgermeister von Mayrhofen im Zillertal noch nicht durchgesetzt. Ein schlimmes persönliches Verbrechen soll Hausberger in den Niederlanden begangen haben, er nahm einem Kind seinen kleinen Hund weg und tötete das weinende Kind dann mit Fußtritten. Den Hund brachte er auf Fronturlaub nach Mayrhofen mit und zeigte ihn herum. Diese Geschichte erregte großes Aufsehen in den Niederlanden und zog zahlreiche Stornierungen niederländischer Gäste bei der Mayrhofner Hotellerie nach sich.
Während die ÖVP in Mayrhofen diesen Bürgermeister loshaben wollte, verstand es Hausberger angesichts der Vorwürfe gegen ihn, die Solidarität der Ortsbewohner für sich zu mobilisieren. Zudem genoss er über viele Jahre die Unterstützung der örtlichen Sozialistischen Partei Österreichs. Es ist zum Grausen.
Konstantin Kaiser
Horst Schreiber: „Liebesverbrechen“, Zwangsarbeit und Massenmord. NS-Täter und Opfer in Tirol, Polen und der Sowjetunion. Innsbruck, Wien: Studienverlag 2023, 205 S. 26,90