Eine kleine Geschichte der Unterwanderung der österreichischen Gesellschaft und ihrer Kulturorganisationen durch russische Propaganda.
Ein neuer besorgniserregender Höhepunkt rund um den Vorfall im Aktionsradius Wien.
Was geschah: Am 20. Februar fand im Aktionsradius Wien eine Veranstaltung aus der Reihe „Frieden in Zeiten des Krieges“ mit Werner Wintersteiner und Wilfried Graf statt, gefüllt mit russischen propagandistischen Narrativen wie „Banderismus“ „Bürgerkrieg in der Ukraine“, „extreme Nazis“ usw., welche ich in meiner Wortmeldung kritisierte. Im anschließenden inoffiziellen Teil riss mir ein hitziger älterer „Friedens-Besucher“ mein Buch „Russlands Krieg gegen die Ukraine: Worum geht es? Fakten und Perspektiven“ aus den Händen und gab es erst nach meinen mehrmaligen Appellen wieder zurück.
Nach meiner Schilderung des Vorfalls auf FB kam prompt ein Anwaltsschreiben des Aktionsradius mit einer SLAPP-Klageandrohung, denn, laut dem Schreiben 1) wurde mir das Buch aus der Hand nicht gerissen, sondern „genommen“ und 2) werden im Aktionsradius „keine russischen Propagandanarrative verbreitet“.
Ein Einschüchterungsversuch. Eine Klage ist bis dato nicht gekommen, sie wissen wohl selber, dass sie mit dem Punkt (1) keine Chance haben und dass der Punkt (2) einfach nicht stimmt.
Und zwar quasi per Richterbeschluss – aus Deutschland, aber immerhin: Der Aktionsradius lud Gabriele Krone-Schmalz ein + Krone-Schmalz verlor eine Klage gegen die Osteuropahistorikerin Franziska Davies in Deutschland; mit der Klage wollte Frau Krone-Schmalz die Aussage verbieten, sie verbreite russische Propaganda >>> Krone-Schmalz verbreitet russische Propaganda >>> der Aktionsradius, der Krone-Schmalz die Bühne bietet, verbreitet russische Propaganda. Deduktion, Watson.
Weitere Gäste des Aktionsradius bestätigen seine eindeutige Ausrichtung. Bereits nach dem großflächigen russischen Überfall auf die Ukraine empfing der Verein den Ex-Chefredakteur des in der EU verbotenen Senders Russia Today Deutschland Florian Warweg (9.5.2023), Willy Wimmer, der für Russland „wegen der traditionellen Werte“ viel Lob übrig hat und von Putin persönlich als „unser deutscher Freund“ bezeichnet wird (2.5.2022), Hannes Hofbauer, den Verleger des umstrittenen Promedia-Verlags, der auf Russia Today und verschwörungserzählerischen Medien unterwegs ist und dessen Aussagen „partiell an strukturellen Antisemitismus grenzen“ (s. entsprechenden Wikipedia-Eintrag), Andrea Komlosy, die Organisatorin der „Corona-kritischen“ Ringvorlesungen, die die Ukraine als „autokratisches Regime“ bezeichnete, und viele andere einschlägige Persönlichkeiten.
Dass dies in einer Organisation möglich ist, die sich als Kulturverein positioniert und viel öffentliche Unterstützung bekommt, offenbart den Grad der Infiltration der österreichischen Gesellschaft durch russische Einflüsse. Propaganda-Opfer – Propaganda-Täter – gibt es sowas überhaupt? Verhält es sich so ähnlich wie bei Henne und Ei?
Natürlich macht der Aktionsradius auch nette Sachen. Das ist der bewährte Algorithmus der Desinformation: durch harmlose, richtige und wichtige Botschaften das Vertrauen der EmpfängerInnen aufzubauen und dieses dann nutzen, um unbemerkt ein paar Fake News, Faktenverdrehungen und Manipulationen zu platzieren.
Ist es den UnterstützerInnen und Mitgliedern des Aktionsradius überhaupt bewusst, in wessen böses Spiel sie da mitspielen? Unter dem Deckmandel des Pazifismus und der „Friedensforschung“ werden in Österreich und anderen Ländern spätestens seit Russlands Überfall auf die Ukraine überwiegend Desinformation, Verschwörungserzählungen, (meistens rechter) Populismus und Aufrufe an die Ukraine zum Aufgeben im Einklang mit russischen Forderungen popularisiert. So wie auf der „Fairdenker-Demo“ im September 2022, wo auch „Frieden mit Russland“ verlangt wurde und der prorussische FPÖler Robert Stelzl mit dem russischen Kriegssymbol „Z“ auf dem T-Shirt herumspazierte. Friedensverhandlungen mit Russland und gleichzeitige Ablehnung der Hilfe für die angegriffene Ukraine ist ja eine der wichtigen Forderungen der FPÖ (zuletzt Vilimsky: „Friedensverhandlungen statt immer mehr EU-Steuergeld“).
Ein Anwaltsschreiben des Aktionsradius bekam auch die Theodor Kramer Gesellschaft (TKG), die mein Buch „Russlands Krieg gegen die Ukraine“ im eigenen Verlag herausgegeben hat. Der langjährige Sekretär und Mitgründer der TKG (faktischer Geschäftsführer) Konstantin Kaiser und seine Frau und TKG-Mitarbeiterin Sonja Pleßl haben nämlich im Namen des Verlags ihre Solidarität mit mir erklärt. Eigentlich eine einzig mögliche Reaktion für einen Verein, der sich seit 40 Jahren für die Kultur des Widerstands und Literatur des Exils in Österreich einsetzt.
Aber eine gute Infiltration ist per definitionem eine unbemerkte Infiltration.
Ein paar Vorstandsmitglieder der TKG haben im Rahmen eines Treffens (ohne eine ordentliche Vorstandssitzung) ein Statement zur Unterstützung – unglaublich, aber wahr – des Aktionsradius abgegeben, sich den Zugang zum TKG-Server und den Kommunikationskanälen (Webseite, Mail-Server, Facebook-Account) verschafft, den Sekretär Konstantin Kaiser für abgesetzt erklärt, Sonja Pleßl gekündigt bzw. entlassen, die Kommunikationskanäle der beiden blockiert und die faktische Kontrolle innerhalb der Theodor Kramer Gesellschaft übernommen.
Schwer zu sagen, was jetzt die Sache ist. Die TKG-Webseite wurde verändert. Die Solidaritätserklärung der IG Autorinnen und Autoren mit mir ist von der TKG-Webseite verschwunden. Ob das stimmt, dass Bestellungen meines Buches über die Webseite nicht bearbeitet werden, wie ich gehört habe? Und ob das der Stadt Wien, die das Buch gefördert hat, recht ist?
Das Handeln der Leitung des Aktionsradius ist irgendwie nachvollziehbar, es geht ja um eine Menge Geld, da soll die Kritik verstummen, bevor die Förderstellen begreifen, in welchem Ideensumpf der Verein schwimmt.
Aber warum riskieren die TKG-Leute ihren Ruf und die Existenz der Gesellschaft? Spielt es eine Rolle, dass Werner Wintersteiner auch ein Mitglied der TKG ist? Ein Vorstandsmitglied hat mich telefonisch kontaktiert und mir zugestanden, sich mit dem Krieg „nicht so sehr auszukennen“. Ist es die Ignoranz, die potenzielle schwere vereins-, arbeits- und förderrechtliche Konsequenzen ausblenden lässt? Oder ist es gerade das Ziel, die Theodor Kramer Gesellschaft zu zerschlagen? Ich kenne die handelnden Personen nicht und habe wenig Einsicht in ihre Denkweise. Jedenfalls finde ich es erschreckend, wie österreichische Vereine der „alternativen Realität“ und der russischen Propaganda zum Opfer fallen.
Eins weiß ich sicher: Fortsetzung folgt