Das war die „Großdemo“ in Wien
Wien, 18. Oktober 2025.
Von Konstantin Kaiser
„Selbstbestimmtes Österreich“ (Sebö) hat zu einer „Großdemo für Frieden und Neutralität. Den Dritten Weltkrieg verhindern!“ in Wien aufgerufen, die von einem Gewimmel politischer Grüppchen und Sekten bis hin zu jenen, die unter der Palästinenser-Flagge gegen „den Völkermord“ in Gaza protestieren, unterstützt wird.
Eine Großdemonstration wurde es aber nicht, zur Schlusskundgebung vor der neugotischen Votivkirche sind bloß 300-500 Personen erschienen.
Man tummelte sich auf dem Gelände des Sigmund-Freud-Parks.

Die Votivkirche hat eine ähnliche Vorgeschichte wie die Basilika Sacre-Cœur auf dem Montmartre in Paris, die den Sieg über die Commune feiert, und die Erlöserkirche in Moskau, die den Triumph des Zarismus über die Revolution von 1905 zelebrierte. Die Kirche in Wien dankt Gott für das Überleben des Kaisers, auf den 1853 ein Attentat versucht wurde. Sie drückt durch Rückwendung ins Hochmittelalter den Sieg über die Revolution von 1848 aus.

Die RednerInnen forderten die Respektierung der „Sicherheitsbedürfnisse“ Russlands und wiesen bedeutsam auf die Neutralitätsgefährdung durch materielle Unterstützung der Ukraine und durch den Transit von Kriegsmaterial durch Österreich hin. Diese Transporte seien ein legitimes Ziel für russische Raketen. Das verkündet der KPÖler Werner Murgg in Stellvertretung der Sowjetunion.
Täfelchen „Gegen Russophobie“ wurden mitgetragen und geschwenkt.
Mit besonderer Vehemenz wendet man sich gegen das, was die drohenden Raketen und Drohnen abfangen könnte, das EU-Projekt Sky Shield.

Europäische Rüstungsindustrie wird als reaktionär, die NATO durchgehend in Transparenten und Reden als aggressiv-imperialistisches Bündnis dargestellt. Sie verfolge das Ziel, Russland einzuschließen. In diesen irrationalen Kreisen bleibt der Inbegriff feindlicher Macht neben Israel die mit ihm verbündete USA.
Astrid Wagner als Rednerin beklagt die Aushöhlung der „Grund- und Freiheitsrechte“ in Österreich: „Die Mächtigen schüren Angst und Hass.“ „Links oder Rechts spielt keine Rolle, die Anständigen sollen sich verbinden.“ „Die Medien“ seien Wegbereiter für „den Krieg“.
Auf einem Plakat ist zu lesen: „Die westliche Presse lügt.“
Es ist das Leitmotiv russischer, islamistischer, antisemitischer und Corona-leugnerischer Propaganda.
Europa, so ist auf der „Friedensdemo“ zu vernehmen, befinde sich in Niedergang und Verelendung.
Alle RednerInnen behaupten, Österreichs Neutralität beruhe auf dem Staatsvertrag 1955.
Das ist falsch.
Warum aber, wenn die Neutralität nicht auf eigenem Willen, wie behauptet, sondern auf der Unterwerfung unter fremden Willen beruhe, muss sie dann im Reich der von „Revolution“ schwafelnden Duckmäuseriche so sorgsam behütet werden?
Alle RednerInnen wenden sich gegen das Projekt Sky Shield, das uns schützen soll.
Man kann sich denken, dass dieses Projekt den russischen Hegemoniebestrebungen wenig zupasskommt.
Ein ebenso häufiges Transparent: „Free Palestine!“
Aufschrift auf einer Tafel: „Revolution gegen imperialistischen Krieg“.
Ebenso etliche Transparente, Plakate mit „From the River to the Sea“, auch als Parole gerufen.
Tafeln und Transparente: „Stoppt den Genozid“. (Wie selbstverständlich wird angenommen, dass es nur um das Handeln Israels im Gazastreifen gehen kann.)
Man fühlt sich wie in einer Veranstaltung zur Vorbereitung des nächsten Krieges versetzt. Auf der Ladefläche eines Pritschenwagens steht ein großgewachsener Mann, vermutlich Araber, und diktiert seinem Megaphone: „Not salam! Not salam!“
„Not salam! Not salam!“ Wiederholung folgt auf Wiederholung.
Seltsam berührt, dass bei einer „Friedensdemo“ aufgerufen wird zu „Kein Friede!“
Die rhetorische Figur, die Gefahr eines Atomkrieges und eines Dritten Weltkrieges zu beschwören, taucht in fast allen Reden der Abschlusskundgebung auf. Sie insinuieren, es gelte diesen Welt- und Atomkrieg zu verhindern und übergehen damit die Gefahren in der Gegenwart, die wirklich der Demokratie und der Freiheit drohen.
Unterschwellig kommt immer wieder vor, die westliche Zivilisation = Kapitalismus, Neoliberalismus, Imperialismus, USA habe abgewirtschaftet, sei am Ende – direkt im Duktus Duginistischer Untergangspropaganda. Es wird ernsthaft behauptet als Grundtenor, nicht Russland habe einen Krieg begonnen – davon ist keine Rede! -, sondern die EU bereite einen Krieg gegen Russland vor.
Daher wird auch viel, so von Werner Murgg und Andreas Wimmer (die beide dem altkommunistischen Spektrum zuzuordnen sind), sehr beklagt, dass die Rüstung nun die Gelder verschlinge, die für Soziales, Gesundheit und Armutsbekämpfung besser eingesetzt wären. Bildung wird seltsamerweise nicht als von den Rüstungsanstrengungen beeinträchtigt befürchtet.
Auch eine Delegation des GLB, des Gewerkschaftlichen Linksblocks der KPÖ, ging im Demonstrationszug mit und forderte, sechs Mann und Frau hoch, Soziales statt Rüstung.
Einer der Redner treibt den geistigen Schulterschluss mit den Freiheitlichen bis hin zu der Feststellung, es gebe „Zersetzende Kräfte in unserem Land.“
Diese müsse man bekämpfen!
Stimmung bei dieser Kundgebung: Unheiter, misstrauisch. Viele stehen ratlos einzeln herum. Um irgendeinen Anschluss bemüht.
Manche scheinen zu glauben, man schriebe das Jahr 1917, und sie könnten als kleine Lenins die Bühne der Weltgeschichte stürmen.
In scharfer Phrasierung trägt eine Sängerin Bertolt Brechts Friedenslied vor, bemüht um gute Stimmung.
Hauptstoß der Kundgebung: Im Namen „des Friedens“ gegen jegliche Hilfe für die Ukraine.
Verbreitung von Lügen über Zensur, die nicht existiert, von Bedrohung von Kunstfreiheit – nicht in Russland, sondern in Österreich! Wenn man den Botschaften dieser Kundgebung Glauben schenkt, muss man Russland für ein freies Land halten, das sich in ernster Bedrohtheit seiner Haut erwehren muss, während in Österreich Verarmung, Verelendung und Entrechtung um sich greifen.
Die Ukraine scheint beinahe inexistent.
Das Weltbild ist völlig frei von jeder Osterweiterung des Bewusstseins.
Es versucht, einen „Antifaschismus“ zu propagieren, in dem die Shoah vergangen und vergessen und daher tendenziell für die schlimmsten Dinge manipulierbar ist.
Die Parole vom „sinnlosen Krieg“, wie wir sie schon von Josef Cap, Heinz Fischer und Donald Trump zu hören bekamen, heuchelt ein eisiges Mitgefühl mit den vielen Toten.
Vor der Votivkirche ist die Heuchelei wieder da.
Frieden? Man könnte eher von Kriegshetze reden.
Die „Friedens- und Neutralitätsdemo“ will, dass der ukrainische Widerstand isoliert wird. Selbstverständlich wird von keinem der RednerInnen und auf keinem der mitgeführten Transparente und Tafeln erwähnt, dass die Ukraine heute auch unseren Frieden, unsere Freiheit verteidigt.
PS: Sergej Lawrow, Außenminister der Russischen Föderation, erklärt sich am 21.10.2025 gegen „einen sofortigen Waffenstillstand, der „den größten Teil der Ukraine unter die Herrschaft der Nazis bringen würde.“ (ukrinform)
Lawrows Lügen sind keine Absonderlichkeiten, sondern Kern des russischen Schizofaschismus, wie von Timothy Snyder in „Der Weg in die Unfreiheit“ beschrieben: „Faktische Faschisten nennen ihre Gegner ‚Faschisten’, schieben den Juden die Schuld am Holocaust zu.“