von Nico Lange
Bluesky (@nicolange.bsky.social), 30. September 2025

Russland erreicht die Ziele der „Sommeroffensive“ nicht, drückt an einigen Frontabschnitten jedoch weiter. Die Ukraine gewinnt zunehmend wieder an Initiative. Landkrieg und Luftkrieg verlaufen unterschiedlich. Wie ist die Lage und was wird gebraucht?
Die russische sogenannte „Sommeroffensive“ scheiterte im Donbass weitgehend. Die Situation um Kostjantyniwka und Pokrowsk bleibt für die Ukraine kritisch. Russland kann die Städte jedoch absehbar weiterhin nicht erobern.
Im Gebiet Sumy erreichte Russland während der Offensive nichts. Die Ukraine drängte die russischen Truppen mittlerweile wieder über die Staatsgrenze zurück.
An wenigen Frontabschnitten im Gebiet Dnipropetrowsk und im Gebiet Saporischschja bewegt sich Russland weiterhin langsam vorwärts.
Die Ukraine hält die russische Infanterie vor allem mit Drohnen nieder. Die Russen wagen kaum noch breitere Vorstöße, weil das sehr schnell zu hohen Verlusten führt.
Die russische Taktik wandelt sich seit einigen Wochen von frontalen Infanterieangriffen hin zu Infiltrationsversuchen sehr kleiner Trupps, häufig geleitet durch Beobachtungsdrohnen und unter Verbergen der Wärmesignaturen der Soldaten.
Russland versucht mit der neuen Taktik, personell unterbesetzte ukrainischen Stellungen zu umgehen und durch Tarnung sowie Verbergen von Signaturen die Zone ukrainischer Drohnenoperationen unentdeckt zu überwinden.
Die Ukraine strebt danach, die Zone der Drohnenoperationen von derzeit 35-40 km auf 60-70 km auszudehnen, um die russische Infanterie auf Abstand zu halten und für die eigene Seite verlustreichen direkten Kontakt zu vermeiden.
An der Front im Osten und Südosten der Ukraine sind weder russische Durchbrüche noch strategische Veränderungen zu erwarten. Beide Seiten sind dazu in der Lage, das derzeitige Equilibrium des Frontgeschehens für sehr lange Zeit weiter aufrecht zu erhalten.
Die im Informationsraum, in vielen Medien und in sozialen Netzwerken weiter verbreitete These, Russland sei unaufhaltsam auf dem Vormarsch, ist falsch. Politische Überlegungen sollten nicht mit der fehlerhaften Annahme beginnen, man könne Russland nicht besiegen.
Am Ende der laufenden Angriffswelle zwischen Mai und November 2025 wird Russland darin etwa 100-120 Tausend Soldaten durch Verwundung und Tod verloren haben. Die russische sogenannte „Sommeroffensive“ war mehr Informationsoffensive als Bodenoperation.
Für die politische und militärische Führung in Moskau wird sich im Winter die Frage stellen, ob ab Frühjahr 2026 die nächste große Welle an Soldaten in den Tod geschickt werden soll.
Weitgehend unabhängig vom Landkrieg intensivieren beide Seiten den Luftkrieg. Die Ukraine baut dabei ihre eigenen Fähigkeiten mit Drohnen, Marschflugkörpern und Kurzstreckenraketen stetig weiter aus.
Die Ukraine nutzt Drohnen, Marschflugkörper und Raketen ukrainischer Produktion, um systematisch und akribisch den russischen Energiesektor zu schädigen – Raffinerien, LNG-Terminals, Heizkraftwerke, Pipelines. Das zeigt Wirkung und baut Druck auf Russland auf.
Russland setzt im Luftkrieg auf Massenproduktion von Geran-2 Drohnen und Gerbera-Täuschkörpern. Angriffe auf ukrainische Städte mit 500-800 Drohnen, kombiniert mit 30-40 Marschflugkörpern, ballistischen Raketen und aeroballistischen Raketen sind der traurige neue Standard.
Die russischen Massenangriffe erzeugen immer wieder Treffer in zivile Wohnhäuser, gezielt auch in Kyjiw, um medial die Wahrnehmung zu suggerieren, die Ukraine würde den Krieg verlieren. Russland bombardiert und tötet ukrainische Zivilisten für den Informationskrieg.
Die Ukraine braucht mehr Investitionen in die ukrainische Rüstungsindustrie, joint ventures und Industriepartnerschaften für den schnellen Ausbau der eigenen Kapazitäten. Das geht schneller und ist billiger als der Kauf von Rüstungsgütern im Westen.
Die Ukraine braucht Unterstützung bei der Produktion auf dem Schlachtfeld bewährter Drohnen, Raketen, Munition und Waffensysteme in westeuropäischen Staaten, um dortige industrielle Fähigkeiten zur Skalierung zu nutzen.
Die Ukraine benötigt mehr Hilfe bei der Kampfführung im elektromagnetischen Spektrum und bei technologischen Innovationen für billigere Raketen für bestehenden bodengebundene Luftverteidigungssysteme sowie bei Abwehrdrohnen.
Die Luftverteidigung der NATO-Ostflanke und der Ukraine sollten integriert werden, Luftraumüberwachung und Systeme vernetzt, Drohnenabwehr verbessert. Die Erfahrungen der Ukrainer insbesondere in der Drohnenabwehr sollten auf die NATO-Ostflanke übertragen werden.
NATO-Luftverteidigungssysteme an der Ostflanke sollten ihre Reichweiten nutzen und russische Drohnen und Marschflugköper über westukrainischem Luftraum unschädlich machen.
Die Ukraine braucht Abstandswaffen mit hohen Reichweiten wie Taurus und Tomahawk, um russische Führungszentren, Munitionsdepots, Flugplätze und Drohnenfabriken tief im russischen Hinterland gezielt, schnell und nachhaltig ausschalten zu können.
Das auf einer Initiative von Merz, Trump und Rutte aufbauende NATO-Programm PURL entwickelt sich schnell zum Erfolg, der mit weiteren Beschaffungen in den USA über die bisherigen 2,1 Milliarden Euro hinaus ausgebaut werden sollte.
Die Ukraine braucht makrofinanzielle Unterstützung zur Stabilisierung des Staatshaushalts 2026. Erträge aus beschlagnahmten russischen Vermögen oder neue Reparationskredite sollten nicht nur militärisch, sondern auch für den Haushalt nutzbar gemacht werden.
Die europäischen Partner der Ukraine sollten das Momentum der gescheiterten russischen Offensive nutzen und jetzt schnell Putins Energieeinahmen stoppen, bei militärischer Unterstützung zulegen und endlich einmal selbst in die Initiative kommen.
Dass Putin ständig Drohnen in ukrainische Wohnhäuser schießen lässt, heißt nicht, dass er sich militärisch durchsetzt. Ein beherzter Strategiewechsel der europäischen Partner der Ukraine kann jetzt Putin entscheidend weiter schwächen und Druck für Verhandlungen aufbauen.