Von Konstantin Kaiser
Russische Minderheiten
Anmerkung vom 27.Jänner 2024
Unter dem Einfluss meiner estnischen Schriftstellerfreundin Reet Kudu, die nicht müde wurde, gegen die ungerechte Behandlung der in den baltischen Staaten ansässigen Russen zu protestieren, setzte ich auf die damit verbundenen Konflikte den falschen Akzent, indem ich von Zwangsassimilierung schrieb und dieser Ethnozentrismus als Motiv unterlegte. Reet Kudu protestierte nicht aus nationalistischem Eifer, sondern vor allem aus der Sorge, der sich hochschaukelnde Sprachenkonflikt könne zum Anlass und Vorwand einer russischen Intervention im Baltikum werden. Durch behutsameren Umgang mit der russischsprachigen Minderheit, möge man russischem Revanchismus den Wind aus den Segeln nehmen.
Ich wusste, dass die baltischen Länder Objekte einer jahrzehntelangen Russifizierungspolitik, im Zarenreich und in der Sowjetunion, gewesen sind. Mir war nicht bekannt, dass sich auch jene Russen, die sich nun in einem Land wie Estland in vermeintlich misslicher Lage befanden, den Hochmut nicht abgelegt hatten, einer Herrennation und großen Kultur zu entstammen.
Was die Ukraine betrifft, glaubte ich nicht an die Unterdrückung der russischen Sprache durch die Regierung in Kiew, aber meinte, man müsse sprachpolitisch sehr vorsichtig sein, den Zorn der russischen Schutzmacht der russischen Minderheit nicht zu provozieren. Obwohl ich mich dabei besorgt zeigte um die gefährdete Souveränität der Ukraine, verfolgte ich die folgenschweren Ereignisse des Frühjahrs 2014 dennoch mit der bequemen Apathie eines Menschen, dem die Verworrenheit und Ungeklärtheit einer Sache zupass kommt, nicht Partei ergreifen zu müssen. Dass es Russland nicht um den Schutz von Minderheiten ging, hätte ich schon daraus entnehmen können, dass Russland sich bei der Auflösung der Sowjetunion keine Minderheitenrechte für die nun im Ausland lebenden russischen Brüder und Schwestern ausbedungen hatte. Sie als benachteiligt, eingeschränkt und entrechtet darstellen zu können, war den russischen Intentionen gemäßer.