Von Konstantin Kaiser

Das monumentale Karl-Lueger-Denkmal an der Wiener Ringstraße wird nicht abgetragen oder umgestaltet, sondern samt dem überproportionierten Sockel leicht schräg gestellt, und zwar um 3,5 Grad.
Das nun preisgekrönte Konzept der Umgestaltung stammt von dem mir unbekannten Klemens Wihlidal. Durch die leichte Schrägstellung soll Karl Lueger in seiner „problematischen historischen Bedeutung kenntlich gemacht“ werden, gilt er doch als „Miterfinder des politischen Antisemitismus“, der damit den jungen Adolf Hitler beeinflusst hat. Auch der Historiker Oliver Rathkolb spricht sich neuerlich gegen eine „Verräumung“ des Denkmals aus, denn dies würde eine „heile Welt suggerieren“. Die Schrägstellung symbolisiere ohnehin einen „Denkmalsturz, unvollendet“.
500.000 Euro will man sich die Schrägstellung kosten lassen.
Der Jury gehörten respektable Persönlichkeiten und Fachleute an, unter ihnen Hanno Loewy, Aleida Assmann, Felicitas Heimann-Jelinek, Heimo Zobernig, Iris Andrachek.
Also bleibt das Denkmal in seiner prominenten Stellung in der Platzmitte und all seinem Pathos erhalten, es wird durch die Schrägstellung nur ironisiert: Ganz so ernst, wie es von sich hermacht, soll man es nicht mehr nehmen. Die Zeit ist über das, was ein Lueger sagte und trieb hinweggeschritten. Die Gegenwart ist ihrer Sache sicher und belächelt unselig Vergangenes aus aufgeklärter Geisteshöhe. Wenn aber diese Höhe sich als Fallhöhe herausstellen würde und Gefahr im Verzug wäre, müsste Lueger als antisemitischen Hetzer anderswo ein Platz angewiesen werden, zum Beispiel am Zentralfriedhof, den seine Christlichsozialen zu verhindern versucht hatten. (Es ging um Grundstücksgeschäfte.) So aber glauben wir zu wissen, dass das Ungemach mit Hitler und der Judenhetze endgültig Vergangenheit ist. Und die Ironisierung, der wir das Standbild unterziehen, drückt die gewonnene Distanz aus, in der die Shoah, wie der Wiener Hausphilosoph Rudolf Burger uns dereinst wissen ließ, für uns gleich fern ist wie der Untergang von Karthago. Und führt uns damit auf den Trampelpfad unserer Gewöhnung zurück, auf den der Distanzierung: Sie ist uns zur zweiten Natur geworden.
Unter Berufung auf die ungarisch-italienische jüdische Zeitzeugin Edith Bruck schreibe ich in Die Entfremdung ist ein Untermieter der Hoffnung:
Für Edith Bruck ist ganz Europa passiv am Nationalsozialismus beteiligt gewesen, obwohl sich im nachhinein jeder distanzierte. Die Distanzierung ist nichts als die Weiterführung dieser passiven Beteiligung, erfüllt geradezu den Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung. Die bloße Distanzierung als „Linie des geringsten Widerstandes“ (Peter de Mendelssohn über Ernst Jünger), ist Bedingung der Möglichkeit der Fortführung bzw. Wiederholung der nationalsozialistischen Verbrechen. Eine ganze Generation ist mit dieser Lüge der Distanzierung aufgewachsen.
„Auschwitz leugnen“ – das bedeutet nur im engsten Sinn ein Bestreiten der Tatsache des Massenmordes, sondern bedeutet: keine Konsequenz daraus zu ziehen.
Wie sehr alle noch im Banne dessen stehen, was sie aufklären wollen oder sollten, zeigt sich darin, dass das Selbstverständlichste im Falle des riesigen Lueger-Denkmals nicht vorgeschlagen wurde: Das Standbild Luegers von seinem Sockel zu holen, vom Sockel der Überhöhung und Heiligung, und einfach hinunter auf den Boden zu stellen, auf das Niveau gewöhnlicher PassantInnen. Man könnte ihm in dieser bürgerlichen Position zum Beispiel die Leine eines Blindenhundes in die Hand drücken und eine dunkle Brille aufsetzen.
Die von Amts wegen berufenen Aufklärer glaubten tatsächlich, es ginge bei ihrer Intervention um ein Urteil über die historische Figur Lueger und nicht darum, Schluss zu machen mit seiner öffentlichen Verehrung. Deshalb fanden sie auch die Umbenennung des nach ihm benannten Platzes entbehrlich. Eine Kontextualisierung, meinten sie, müsse genügen und werde die Bequemlichkeit von Anwohnern und Anliegern weniger beeinträchtigen.
Während sie einerseits ihr ‚Aufklärungswerk‘, das keines ist und war, als angesichts des vorrückenden Rechtsextremismus dringend erforderlich priesen, wichen sie anderseits vor den empörten Reaktionen jenes Rechtsextremismus noch vor endgültiger Erledigung ihres gutbezahlten Aufrags feige zurück.