
Rezension von Monika Vasik
Logbücher führte man zunächst in der Schifffahrt. Sie dienten dem Protokollieren von Messdaten und wichtigen Vorkommnissen auf See. Später erst fanden sie auch in andere Bereiche Eingang, etwa in der Luftfahrt und Forschung sowie beim Militär.
Derzeit gibt es gleich mehrere in der Literatur. So hat der slowenische Schriftsteller Aleš Šteger 2016 ein Logbuch der Gegenwart (Haymon) veröffentlicht, in dem er aktuelle Themen, Schauplätze und Entwicklungen in der Welt literarisch einfing. Thomas Köck wiederum protokollierte und kommentierte ein Jahr lang Berichte über das Erstarken von AfD und FPÖ, deren disruptive Politik und die schleichende Verrohung der Sprache in seiner Chronik der laufenden Entgleisungen, erschienen 2024 (Suhrkamp).
Konstantin Kaiser verfährt anders, wie man im Anhang erfährt, denn er führt seine Logbücher bereits seit vielen Jahrzehnten. Sie wurden zu Lebensbegleitern des engagierten Humanisten, enthalten Aphorismen, Notizen, kurze Buchbesprechungen, Exzerpte, Skizzen von Essays, Zeichnungen, aber auch Beschreibungen von Orten und Landschaften sowie Begegnungen. [..]
Nun liegt eine kleine, äußerst lesenswer*te Auswahl der Logbuch-Notate auch in Buchform vor. Sie sind in zwei Abschnitte gegliedert, ergänzt durch einige Skizzen des Autors: Lügengedichte und Kleine Geschichten.
Was dieses Buch kennzeichnet ist seine Vielfältigkeit. Der erste Teil enthält 21 kurze poetische Texte, die uns den Philosophen zeigen, der über das Schöne, über Güte und über Empirie nachdenkt, den Liebenden, der über und für zwei ihm wichtige Frauen zugewandte Verse dichtete, den Schalkhaften, der nicht nur im Scherzgedicht „Vielleicht geht das aber so“ wohldosierten Humor einwebt und den engagierten Humanisten.
Beim Wort „Lügengedicht“ denkt man vielleicht an das Gedicht „Dunkel war’s, der Mond schien helle“ oder an die Lügengeschichten von Münchhausen und Till Eulenspiegel. Hier allerdings scheint das Wort „Lüge“ selbst Lüge zu sein, denn es werden ganz ohne Lüge Wahrheiten verdichtet und gelegentlich mit weisem Lächeln versehen.
Die 26 Miniaturen des zweiten Abschnitts wiederum erzählen von Begegnungen, Beobachtungen und Zufallsfunden, von historischen und philosophischen Exkursen, von Erinnerungen an die Sprache der Mutter und von Gedanken am Familiengrab auf dem Innsbrucker Südwestfriedhof. Das Buch mit dem so schönen wie rätselhaften Titel Die Entfremdung ist ein Untermieter der Hoffnung ist ein nun öffentliches Archiv, das abseits von Kaisers bisherigen Publikationen einen Einblick in die Denkweise eines meinungsstarken Autors gibt. Ein Leitfädchen zieht sich bei aller Vielfalt durch das Buch, das aus den Begleitfäden seines lebenslangen Engagements gegen den Faschismus gezwirbelt ist. […]
Ein Gedicht wie „Mit Tamar Radzyner gedacht“ bezeugt genauso, dass die politisch engagierte Lyrikerin, die drei KZs überlebte, auch heute nicht vergessen ist, wie das zugespitzte Erzählen von Begegnungen mit vom NS-Regime Verfolgten wie dem Illustrator und Karikaturisten Bil Spira oder den Schriftsteller:innen Tuvia Rübner und Edith Bruck.
Wobei Konstantin Kaiser vielleicht mit dem Widerstandskämpfer Jorge Semprún darauf beharren würde, nicht von Überlebenden der Nazi-Gräuel zu sprechen, sondern von Menschen, „an denen der Tod vorbeigegangen ist“. Eine bereichernde Lektüre, die lange nachhallt!
Erstveröffentlichung der Rezension in: Podium, Zeitschrift für Literatur, Doppelheft 215/216, April 2025, S. 126 und 127.
Konstantin Kaiser: Die Entfremdung ist ein Untermieter der Hoffnung. Lügengedichte und kleine Geschichten.
Band 18 der Lyrikreihe Nadelstiche, 2022, 96 Seiten, 18,- Euro, ISBN 978-3-903522-07-7.
Autorenexemplare sind bei Konstantin Kaiser erhältlich: k@konstantinkaiser.at, Engerthstraße 204/1/14, 1020 Wien.
Monika Vasik, geb. 1960 in Wien. Medizinstudium; Lyrikerin, Rezensentin, Moderatorin, Ärztin. Literaturpreise, u.a. Lise-Meitner-Literaturpreis 2003 und Publikumspreis beim Feldkircher Lyrikpreis 2020. 2018 Mitbegründerin und bis 2022 Mitverantwortliche der Poesiegalerie, wofür sie gemeinsam mit ihren Kollegen P. Clar und U. Kawasser mit dem Alfred-Kolleritsch-Würdigungspreis 2020 und dem Alexander-Sacher-Masochpreis 2021 ausgezeichnet wurde. Sie veröffentlichte bislang sechs Lyrikbände, zuletzt Knochenblüten, Elif Verlag 2022. www.monikavasik.com