
In der Woche vor Ostern wurde die neunzehnjährige russische Studentin und Aktivistin Daria Kosyrewa (https://de.wikipedia.org/wiki/Darja_Alexandrowna_Kosyrewa) von einem Gericht in St. Petersburg zu einer dreijährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Ihr „Vergehen“: Sie hatte am 24. 2. 2024, dem Jahrestag der russischen Invasion in der Ukraine, an einem (russischen) Denkmal für den ukrainischen Dichter Taras Schewtschenko (https://de.wikipedia.org/wiki/Taras_Schewtschenko) einen Zettel mit einem Auszug aus dessen Gedicht „Vermächtnis“ (https://de.wikisource.org/wiki/Das_Verm%C3%A4chtnis_(Schewtschenko)) befestigt.
Folgendes erklärte sie vor Gericht in ihrem Schlusswort (nach einer englischen Übersetzung von Anton Geraschtschenko [https://bsky.app/profile/antongerashchenko.bsky.social/post/3lncs7neerc2d]):
„Wenn Taras Grigorowitsch (Schewtschenko) in unsere Zeit, hierher käme, sollte ich vielleicht sagen, er würde sehr erstaunt sein? Nein, er wäre überhaupt nicht erstaunt. Denn er würde ein sehr vertrautes Bild vor Augen gehabt haben: Moskau hat es schon wieder getan. Natürlich begann der Krieg nicht 2022. Der Ausgangspunkt ist 2014 anzusetzen. Die Russen, schuldig an jedem vergossenen Blutstropfen, begannen den Krieg 2014. Und im weitesten Sinne dauert der Krieg nicht erst seit 2014 an, sondern schon seit hunderten Jahren. Es ist ein überraschendes Merkmal der russischen Geschichte: Egal, welches Regime hier herrscht, es ist, als ob die Religion dieses Regimes es nicht erlaubte, die Ukraine einfach in Frieden zu lassen. Zaren und Kommunisten unterschieden sich darin nicht, egal welche Kleidung sie anlegten. Man sollte meinen, sie hätten jahrhundertelang Zeit gehabt, um zu begreifen: Lasst sie in Frieden, lasst sie einfach in Frieden. Ja. Moskau hat gewonnen, viel gewonnen, aber den endgültigen Sieg hat Moskau nie erlebt. Und wird ihn auch niemals erleben. Das ukrainische Volk wird nicht beigeben. Es hat genug. Aber die Befürworter der Besatzung haben das nie begriffen. Sie sind nicht die Klügsten, so sehr sie es auch gerne wären. Niemand hat ihnen je auch nur ein Wort über Vergangenheit und Zukunft der Ukraine gesagt. Sie verstehen nicht, dass die Ukrainer keinen großen Bruder brauchen, überhaupt keinen und schon gar nicht das dreieinige russische Volk. Die Ukraine ist ein freies Land, eine freie Nation, und sie wird über ihr Schicksal selbst entscheiden. Wer die Narrative des Eindringlings verbreitet, wird von den Ukrainern gehasst. Das hat er sich selbst zuzuschreiben und muss sich nicht über ukrainische Nationalisten beklagen. Wer die Ukraine anrührt, wird geschlagen. Und wahrscheinlich schmerzhaft. Ich wünsche den Russen aufrichtig, dass sie sich einfach an diese simplen Wahrheiten erinnern. Nochmals: Die Ukraine ist eine freie Nation. Sie wird selbst entscheiden, wohin sie geht. Sie wird selbst entscheiden, wen sie als Freund und Bruder betrachtet. Und wen sie als Feind betrachtet. Sie wird selbst entscheiden, wie sie mit ihrer Geschichte umgeht. Und sie wird selbst entscheiden, welche Sprache sie spricht. Es ist, als würde ich Selbstverständlichkeiten aussprechen, aber davon kann nicht die Rede sein. Denn Putin hat es offenbar nicht begriffen, dass die Ukraine ein souveräner Staat ist. Er hat ohnehin Vieles nicht begriffen. Zum Beispiel Menschenrechte oder demokratische Prinzipien. Aber selbst diejenigen, die Putins Macht scheinbar ablehnen, verstehen es oft nicht. Oft begreifen sie nicht, dass die Ukraine, die ihre Souveränität mit Blut bezahlt hat, selbst entscheiden wird, was sie tut. Natürlich möchte ich glauben, dass sich diese Haltung mit der Einführung von Demokratie früher oder später ändern wird. Ich möchte an eine solch schöne Zukunft glauben, in der Russland jegliche Art von Imperialismus, Raubgier und Blutdurst aufgegeben hat, auch soweit sie sich in den Gedanken seiner Menschen verstecken. Gottes Wille, einzig Gottes Wille!
Ich habe in der Debatte bereits erwähnt, dass es angesichts der aktuellen Situation der Ukraine sehr lächerlich wäre, von Beschränkungen zu sprechen. Ein Teil des ukrainischen Landes ist ja immer noch besetzt. Vielleicht wird es noch lange besetzt bleiben. Es ist traurig, das zugeben zu müssen, leider. Moskau aber hat es nicht geschafft, die Ukraine zu erobern. Das heldenhafte ukrainische Volk verteidigt sein Heimatland. Und verteidigt sein Land unter großen Opfern. Die Nationalflagge weht über Kyjiw und wird dort für immer wehen. Als die Besatzer Anfang 2022 aus der Hauptstadt vertrieben wurden, standen sie vor dem Nichts. Mein Traum ist natürlich, dass die Ukraine jeden Zentimeter ihres Landes zurückgewinnt, einschließlich Donbass und Krim. Ich glaube, dass mein Traum eines Tages wahr wird, dass die Geschichte eines Tages das gerechte Urteil fällen wird. Die Ukraine hat trotzdem gewonnen. Sie hat bereits gewonnen.“