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Gratulation zum 90. Geburtstag Herbert Kuhners

Von Konstantin Kaiser

Ich habe wiederholt über Herbert Kuhner geschrieben, so 1998 im Nachwort zu seinem großen Gedichtband „Liebe zu Österreich/Love of Austria“ und 2015 aus Anlass der Verleihung des Theodor Kramer Preises für Schreiben im Widerstand und im Exil an ihn. Weniger bekannt ist vielleicht mein Beitrag über ihn im Metzler Lexikon der deutsch-jüdischen Literatur. (Hg. von Andreas B. Kilcher. Stuttgart, Weimar 2000). In ihm versuchte ich, so problematisch dies sein mag, dem „Jüdischen“ in Kuhners Werk nachzugehen.

Herbert Kuhner, jüdischer Herkunft, aber katholisch erzogen, konnte mit seiner Mutter 1939 nach Großbritannien, 1940 in die USA flüchten. Er studierte Sprachen an der Columbia University in New York und kehrte 1963 nach Wien zurück.

Bis heute schreibt er, der sich durchaus als österreichischer Schriftsteller versteht, in englischer Sprache. Mitunter übersetzt er seine eigenen Arbeiten ins Deutsche, meist jedoch fungiert er als Übersetzer vom Deutschen ins Englische, so bei der von ihm mitherausgegebenen wichtigen Anthologie jüdischer Lyrik der Gegenwart aus Österreich „Wären die Wände zwischen uns aus Glas/If the Walls Between Us Were Made of Glass“ (1992).

Kuhners literarisches Werk ist ohne Beziehung auf die klassische deutsche Philosophie und Literatur, aber auch fast ohne Zusammenhang mit der näherliegenden Kultur des Fin de siècle in Wien. Spezifisch Jüdisches im Sinne einer überlieferten Spiritualität oder eines durch Jahrhunderte der Unterdrückung erworbenen Humors wird von ihm nicht angesprochen. Am ehesten findet sich Kuhner verbunden mit jener deutschsprachigen Exilliteratur, die nach 1945 in einer Situation des auf Dauer gestellten Exils entstanden ist.

Die Kultur des Landes, in dem er lebt, ist für ihn eine offene Frage: Sein Blick auf die nationalsozialistische Vergangenheit, die noch gar nicht vergangen ist, geht von der Erwartung einer Gegenwart aus, die sich mit den Resultaten dieser Vergangenheit nicht abfindet, sie nicht beschönigt, verwischt, sondern restlose Aufklärung über die NS-Periode gerade darum sucht, um sich aus dem trüben Zwielicht des Postfaschismus endlich herauszuarbeiten.

Mißtrauen gegen das selbstverständlich Bestehende, Unversöhnlichkeit gegenüber allen begütigenden Lügengespinsten und existentielle Verunsicherung angesichts der Erfahrung der Zerstörbarkeit der eigenen Lebenswelt kennzeichnen die Schriften Kuhners.

Die Erfahrung der Zerstörbarkeit, bei Elias Canetti und Günther Anders im Bild einer gespaltenen Zukunft (die Menschheit ist permanent vor die Alternative zwischen Selbstvernichtung und Fortleben gestellt) beschworen, wird ja bis heute fast ausschließlich von jüdischen SchriftstellerInnen vermittelt. Hier ist keine wiedererrungene Normalität, in die der Schreibende seine kritischen Markierungen einträgt.

Kuhner steht vielmehr einer zutiefst erschütterten Wirklichkeit gegenüber, die er mit einem starken Wunsch nach Normalität konfrontiert.

Zwei durchgehende Motive der Lyrik und Prosa Kuhners sind die Entdeckung der eigenen, durch die Konversion der Eltern verdeckten jüdischen Identität und das nicht endende Trauma seiner Rückkehr nach Österreich.

Für Kuhner erweist sich jüdische Identität zunächst von außen bestimmt, durch Beschimpfung, Ausgrenzung und ihr gelegentliches scheinbares Gegenteil: Überschätzung und Mystifizierung.

Wie bei Berthold Viertel ist es letztlich die Scham über eigene Anmaßung, die Kuhners Protagonisten aus falschen Identifikationen heraustreibt; dies eben macht hier das Jüdische aus.

Nicht-Zugehörigkeit eignet auch dem Rückkehrer ins vorgebliche Heimatland. Nicht eingeweiht ins Geheimnis der Dagebliebenen, ob sie nun künstlerisch der Arrière- oder Avantgarde zuzuzählen sind, sieht er sich einer tagtäglichen Verschwörung gegenüber, die sich auch real – so bei der mühevollen Wiedererlangung der Staatsbürgerschaft, der ausbleibenden „Wiedergutmachung“, in der Begünstigung ehemaliger Nationalsozialisten, der faktischen Eliminierung des Autors Kuhner aus dem literarischen Betrieb – manifestiert.

Kuhner beschreibt die Rückkehr aus der Vertreibung exemplarisch mit den Erfahrungen und Argumenten derer, die aus guten Gründen nicht zurückgekehrt sind.

Lieber Harry, ich gratuliere Dir zu Deinem Geburtstag, Du hast mir Spuren gelegt, denen ich folgen konnte, Du hast meine Lebenswelt bereichert! Lassen wir uns weiter gemeinsame Wege, eine gemeinsame Gegenwart finden!

Für eine von ihm geplante neue Anthologie österreichischer Lyrik Under the Icing/Unter der Glasur. Austrian Poetry/ Österreichische Lyrik hat Kuhner einige von Konstantin Kaisers früheren Gedichte übersetzt.

Ein Wort umgedreht

Das Wort
war ein Stein.
Unter dem Stein der Hundertfüßer
bäumte sich auf.
Wieder den Stein das Wort
behutsam gedreht.
Lange böse
auf die glatte Vorderseite geschaut.

A Word Turned Over

The word
was a stone.
Under the stone a centipede
rose up.
Again the stone –
the word reverently turned over.
Angry for a while,
having seen the smooth surface.

Nun fuhren wir den Krieg in unsren Herzen

I

Die Qualen des Ich zu verkürzen,
indem man es abschafft
und zum Ehrenmitglied der Gemeinschaft ernennt

Den Weg zwischen Befehl und Hand zu erleichtern
indem man träumend lebt
an blauen Seen, auf Wiesen
schaukelt mit erschossener Seele

II

In der Luft liegt wieder Abendland.
Christus zieht die Nägel aus dem Holz,
Spende für die Rüstung.

Die Spuren ihrer kleinen Füße
in der Asche des Vulkans
von Managua

III

Spannte ein Spinnweb, ein Teppich
meine Hände um dich
bestecke sie mit Frostblumen,
in den Schultern schmerzten die Arme,
so hielt ich dich starkes Spinnweb

Obwohl es hat der Herrscher des Traums
mir schon die Hände nehmen lassen.
Im Marsch der Versehrten
schreie ich
nach des Landes Zärtlichkeit

Now We Are Making War

In Our Hearts

I

To limit the suffering of the self
by eliminating it
and to be designated as an honorary member of society

Simplify the way between orders and the hand
by living in dreams
on blue lakes and meadows
rocked with a soul that’s been shot

II

Now we make war in our hearts.

The occident lies in the air again
Christ pulls the nails out of the wood,
Contribution for armaments.

The traces of her small feets
in the ashes of the Volcano
of Managua

III

Like a spider web covering a carpet
my hands enfold you
embroidered with flowers of frost,
my arms aching at the shoulders;
thus I held you, my firm spider web.

even though the Lord of Dreams
has already taken my arms.
In the bog of the disabled

I cry
for the country’s tenderness

Spaziergang

Die Wunde lachte
von der Spitze des Hutes.
Ich warf ihn weg.

Eilig trage ich
meinen Wert in den Wind,
der schräge Blicke wirbelt.

Ihr Gottlosen nehmt
die Hände von mir.
Ich gehe ja unter.

A Walk

The wound laughed
from the top of the hat.
I threw it away.

Hurriedly I carry
my values in the wind
which picks up dirty looks.

You godless ones,
keep your hands off me:
I’m going under.

Damals

I

Aber dann bin ich fertig geworden
inmitten dieser Menschen.
Ich war nicht lange da, und doch
mußte ich meine Ursachen erklären.

II

Ein 29jähriger Selbstmörder
hat seinen Leib der Anatomie
vermacht.
Wer nicht dachte sich
an einer Krankheit zu leiden,
von der niemand weiß.

At the Time

I

And then finished it
in the midst of these people.
I had not been there for long and yet
I had to explain my motives.

II

A 29-year-old suicide
left his cadaver to
the anatomical institute.
Who would think
about having a disease
that no one knew about.

Am Abend doch

sah ich einen absolut weinroten Schatten
Anderswo Krieg

Wenn der Mensch auf der Bühne
sich bewegte,
stand der Schatten still.
Scharf und klar: Er. Schwankend: der Mensch

Mensch, male Bilder,
mein Freund zu werden,
schreib Verse

Ich springe über den Zwischenraum
Springe dich an

Nevertheless in the evening

I saw a completely wine-red shadow
There’s war somewhere else

When man moves
on the stage
the shadow remains motionless.
Sharp and clear: He. Tottering: man.

Man, paint pictures,
in order to be my friend,
write poetry

I jump over the spaces
Jump at you

Handumdrehen

für H. K.

Die leere Hand, die ich dir zeigte,
war nur der glatte schöne Rücken einer Hand
mit seinem Blutgeäder, sanft in Braun gehüllt.
Doch nun sollst du die Innenseite sehen,
dies zuckerkranke bleiche feuchte Tier,
dies Tier mit seinem Faltenantlitz
und lächerlichen Lebenslinien,
die nichts verraten, Freude nur und Qual,
dies Tier, bei allen Menschenrassen gleich:
Es reicht dir Brot hin und ein Häuflein Salz.

Revealing My Palm

for H. K.

The empty hand I showed you
was just the smooth back of a hand
with veins softly covered by dark skin.
But I’ll reveal my palm,
the moist diabetic pale animal,
the animal with its wrinkled face
and ridiculous life lines,
short or long, joyous or sad;
the animal, which is the same in all races,
has a piece bread and a pinch of salt in it.

Published inLyrik