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„Du verlierst das Recht, dein Land zu kritisieren“

Oksana Sabuschko über das Schreiben in Kriegszeiten

Kate Tsurkan (Kyiv Independent): Gibt es Ihrer Meinung nach in der heutigen ukrainischen Literatur große Tabus? Gibt es Grenzüberschreitungen, vor denen Schriftsteller zurückschrecken?

Oksana Sabuschko: Das ist eine schwierige Frage, Kate. Es ist eine schwierige Frage, denn wir sind noch nicht bereit, darüber zu diskutieren, wie der Krieg unser Schreiben beeinflusst hat. Was das Genre angeht, ja, okay, das lässt sich diskutieren, ja, Poesie überlebt, Poesie übersteht alle Herausforderungen, wissen Sie, sie ist die Kunst der raschen Reaktion, würde ich sagen. Und dann, ja, Essays. Poesie und Essayistik. Eine gute Zeit für Poesie und Essay. Während natürlich große Genres wie etwa Romane etwas problematischer sind und … Nun, wenn wir von Tabus sprechen, gibt es etwas, wofür es wahrscheinlich an der Zeit ist, darüber zu sprechen. Eines der größten Probleme, eines der größten Probleme, mit denen jeder Schriftsteller konfrontiert ist, wenn in seinem Land Krieg ist, ist, dass man… Okay, man verliert viele Privilegien, ja, aber eines der wichtigsten Privilegien… Es ist eine Art Selbstzensur. Du verlierst das Recht, dein Land zu kritisieren. Es ist… Es ist ein Problem für das freie Denken und die freie Vorstellungskraft und alles, denn dein Land wird ja, angegriffen, jemand will es komplett auslöschen, es komplett zerstören. Also denkst du sofort in erster Linie an Sicherheit. Kritisierst du es, stellst du dich sozusagen auf die Seite der Mörder. Du stehst auf der Seite der Mörder, die es auf dich abgesehen haben, auf der Seite derer, die wollen, dass dein Land nicht mehr existiert. Und dann verstehst du, dass es ein Privileg ist, sein Land frei kritisieren zu können, dies und jenes darüber zu diskutieren, während du dich jetzt, okay, sagen wir mobilisiert fühlst. Man muss das Land stärken. Genau dann muss man es stärken. Man muss seine Stärken nutzen. Alles, was seine Schwächen offenbart, kann missbraucht oder von bösen Mächten benutzt werden, die es zerstören wollen. Das ist etwas, was ich in meinen eigenen Texten am hinderlichsten finde. Dieses Bedürfnis nach Selbstzensur. Nun, das ist der Krieg.

Gefunden auf der BlueSky-Seite des Kyiv Independent, für den Kate Tsurkan ein längeres Interview mit Oksana Sabuschko geführt hat (Originalsprache Englisch, Übersetzung durch uns).

The Kyiv Independent's Kate Tsurkan sits down with Ukrainian writer Oksana Zabuzhko to discuss the role of writers and intellectuals in wartime, the importance of decolonization in Ukraine’s education, and why she wouldn't share a stage with Russian artists until Ukraine's victory.

The Kyiv Independent (@kyivindependent.com) 2025-03-19T16:59:05.286Z
Published inAktuellesZwischenwelt International