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Notizen zum Theodor Kramer Preis in Niederhollabrunn

Konstantin Kaiser

Freitag, 13. September 2024

Am vergangenen Freitag fand die Theodor Kramer-Preisverleihung in Kramers Geburtsort Niederhollabrunn statt.

Gemeinsam mit Interessierten aus Wien reiste ich an, dies aus dreierlei Gründen:

Erstens, um dem Schriftsteller Vladimir Vertlib zu gratulieren, den ich 2023 für den Theodor Kramer Preis vorgeschlagen habe. Zweitens, um Anwesende über die Geschehnisse seit der Klagsdrohung des Aktionsradius Wien aufzuklären. Drittens, um zu sehen und zu hören, was der gegenwärtige Vorstand der TKG präsentieren und repräsentieren wird.

Zusammenfassung:
Noch nie war eine TKG-Preisverleihung so schütter besucht gewesen. Das lag nur zum Teil am Wetter: Die Anreise von Wien nach Niederhollabrunn zur Veranstaltung und die Rückreise nach Wien waren am Freitagabend problemlos möglich, daher fand die Preisverleihung statt und fuhr der Bus von Wien nach Niederhollabrunn und zurück. Woran also, außer am Wetter, lag es noch?

Schweigen heißt lügen. Nicht nur Lügen haben kurze Beine, wie es im Volksmund heißt, auch das Schweigen. Das Publikum, das 2024 unter anderen Umständen angereist wäre, war zu Hause geblieben.

Dieser Teil des nicht anwesenden Publikums hörte sich nicht an, was jemand wie der Vorstandsvorsitzende Prof. Peter Roessler in seiner Ansprache zur Verleihung des Preises für “Schreiben im Widerstand und im Exil” sagte, nachdem ebendieser Vorstandsvorsitzende ein lebendes Beispiel vorauseilenden Gehorsams ist. Hörte sich nicht an, was ein Vorstandsvorsitzender sagte, der sich, nachdem er ein Anwaltsschreiben zu Gesicht bekommen hat, flugs von der angegriffenen Autorin distanzierte und diejenigen, die sich der Distanzierung nicht unterworfen hätten, gekündigt und diffamiert hat. Was kann einer und einem so jemand zu “Widerstand” sagen?

Was ich mir in meinem Notizbuch vor Ort notierte:

Die Veranstalter hatten keinen guten Tag erwischt für die feierliche Verleihung des Kramer-Preises an Vladimir Vertlib. Zwanzig Personen, sagte man mir, hatten sich für den Autobus nach Niederhollabrunn angemeldet, nur acht seien gekommen. Schuld sei das üble Wetter und die öffentliche Empfehlung, möglichst nicht aus dem Hause zu gehen. Auch das Quartett aus Salzburg mit dem Klarinettisten Karl Müller hatte die mühsame Reise in strömendem Regen nach Niederhollabrunn nicht angetreten. Nur der Klarinettist Karl Müller war trotzdem gekommen. Geboten werden hätte sollen als erstes Stück eine Vertonung von Kramers Gedicht „Auf dem stillen Kirchberg stand einst mein Vaterhaus“. Damit hätte man dem Genius Loci Tribut gezollt, denn der Pfarrsaal, in dem gefeiert wurde, befindet sich auf halber Höhe des Kirchbergs an der Kirchenstiege. Das Programm der Musiker, wurde erklärt, schöpfe Kramers Texte aus den von Erwin Chvojka einst herausgegebenen „Niederhollabrunner Gedichten“, hätte also kaum den politisch denkenden Dichter nahegebracht, sondern seine Heimatverbundenheit. Diese könnte man auch als irgendetwas irgendwie Widerständiges lesen, da Kramer ja Jude war und man ihm daher das Behaupten einer Heimat nicht so leicht zugestanden hätte, zumindest nicht von Seiten jener Menschen, die sich als die wahren Inhaber des Heimatladens fühlen.
Die Anheimelung Kramers durch die Musik blieb uns erspart.

Kramer kam in der Folge nicht mehr vor, außer mit dem Zitat vom Emigranten, der in Österreich einen Buckel zu machen habe.

Weit fortgeschritten, berichtete Bürgermeister Jürgen Duffek (ÖVP) sei die Sanierung des Kramer-Geburtshauses, in dem momentan eine Kleinkindergruppe untergebracht sei. Es bleibe nach Abschluss der Renovierung ein Raum von 60 Quadratmetern zur noch nicht festgelegten Verfügung und in ihm eine weiße Wand, um mit einem Beamer einen noch zu produzierenden Kramer-Kurzfilm und Tafeln der bereits vorhandenen Kramer-Ausstellung auf sie projizieren zu können.
Was immer es werden wird, es ist frei von Spannung und Reibung und hat daher vermutlich wenig Zukunft. Das Konzept, das ich vor Jahren vorschlug und zu dem ich nie eine Stellungnahme erhielt, war vermutlich unrealistisch, sah einerseits vor, originale Nachlassbestandteile zugänglich zu machen, wünschte andererseits eine räumliche Möglichkeit für literarische und kulturelle Veranstaltungen und Vorträge geschaffen zu sehen, in denen sich etwas von Kramers Geist vergegenwärtigen könne.

Peter Roesslers Begrüßung und Einführung sah in Vertlibs Romanen wie bei allen bedeutenden Autoren eine große Erzählung im Gange, diesenfalls jüdische Erfahrung und Emigration thematisierend. Einer Bestimmung Vertlibs als Exilautor, der sich in einer spannungsreichen Beziehung zu seinem Herkunftsland befindet, entzog sich Roessler. Er rühmte ihn als einen, der uns zwischendurch zu lachen gestattet. Auf die Idee, dass bei Vertlib die Slapstick-Einlagen sich rationalisierend als Komödie über die Albträume und die immer wieder aufkommende Panik legen, dem Gemüt einen gerade noch heilen Ausgang aus innerer Bedrängnis ermöglichend, kam Roessler, so naheliegend sie ist, nicht. Auch die Idee, dass Vertlib in seinem Schreiben immerzu auf der Flucht sei und fortgesetzt die Geschichten von Flüchtlingen erzähle, dass also in seinen Büchern ein großes Gespräch der über die Erde verstreuten Menschen auf der „Flucht ohne Ende“ geführt werde, blieb unerörtert.
Roessler erwähnte die Bedeutung, die Siglinde Bolbecher und Konstantin Kaiser für Vertlib in seinen Anfängen als Autor hatten. Immerhin!

Die Laudatorin Katharina Braschl hob mit ausführlichen Erinnerungen an Zufälligkeiten des persönlichen Kennenlernens mit Vladimir Vertlib in Salzburg an und referierte sonach ohne besondere Ausschmückungen die bekannten Lebensstationen des Dichters, wobei sie sich besonders auf seinen ersten Roman „Zwischenstationen“ bezog. Sie betonte die gewichtige Stimme, die Vertlib im Schreiben all der Emigrierten, Ausgestoßenen und Diskriminierten hat, aber wies ihm keinen Platz in der österreichischen Literatur zu.
Dabei war das Auftreten Vertlibs als eines unverhohlen jüdischen Autors in den 1990er-Jahren, parallel zu dem einige Jahre früheren eines Robert Schindel ein Ereignis, das den Gesamtcharakter der österreichischen Nachkriegsliteratur verändert hat!
Hingegen lobte Braschl die Lesbarkeit, die Sprache Vertlibs und meinte, kompliziert sein wolle Vertlib nicht. “Hinterfotzigkeit“, meinte Katharina Braschl, „sei österreichische Tugend.“ Es wurde nicht klar, in welchem Zusammenhang sich diese Apostrophierung der Laudatorin aufdrängte. Sie fuhr fort: Doch er, Vertlib, bleibe ein politischer Autor ohne „erhobenen Zeigefinger“, der nicht in der ersten Reihe stehen wolle, er sei ein engagierter “Aufklärer gegen Verschwörungstheorien”, was ihn auszeichne sei, die “Suche nach dem, was hinter dem Schweigen steckt”, er sei kein Doktrinär. Dies aber hat, könnte man einwerfen, damit zu tun, dass er allzu kantige Stellungnahmen meidet und lieber moderiert. Eine gute Bemerkung steuerte Braschl bei, nämlich die, dass Vertlib aus den kleinen Dingen des Lebens Bedeutung zu schöpfen vermöge.

Vladimir Vertlib bekannte in seiner kleinen Preisrede, die Theodor Kramer Gesellschaft habe für ihn eine zentrale Rolle in seiner Entwicklung als Autor gespielt. Er sagte, „Exil ist meine Heimat“, es gebe kein Zurück mehr nach Russland. Er ist gebrandmarkt durch Solschenyzins Wort, ein Jude könne die russische Kultur nie ganz verstehen. Was er nicht wolle, sei, seine Exilerfahrungen als bereichernd zu empfehlen, wiewohl das manche von ihm gerne hören würden.
Vertlib betonte seine Verbundenheit mit Österreich als dem Lande, dessen Verfassung und Demokratie zu verteidigen er beeidet habe.
Vertlib erinnerte sich lobend an Konstantin Kaiser und Siglinde Bolbecher in Zusammenhang mit seiner ersten literarischen Publikation in „Mit der Ziehharmonika“ (jetzt “Zwischenwelt”) 1993, der Erzählung „Das Bett“, und erwähnte verschiedene seiner außerliterarischen Engagements, so sein Auftreten an Schulen gegen Antisemitismus.

Da nun selbst die Preisverleihung an einen bekannten österreichischen Autor samt Buffet nicht mehr als 40 Personen in den Pfarrsaal lockte, muss man hinsichtlich der Zukunft der TKG skeptisch sein. Das Schweigen über die Handlungen des Vorstands in Folge der Klagsdrohung des Aktionsradius Wien, das bei der Preisverleihung nicht gebrochen wurde, dürfte auf die Dauer doch kein Erfolgsrezept sein, wenngleich seine routinierte Durchführung nicht unösterreichisch ist.

Die Geschichte geht weiter: Im Anschluss an den offiziellen Teil der Preisverleihung überreichte die vom Aktionsradius Wien angegriffene österreichisch-ukrainische Autorin Mag. iur Oksana Stavrou dem Vorstandsvorsitzenden Univ-Prof. Peter Roessler einen Brief. Diesen hatte sie bereits per Einschreiben gesendet, doch keine Antwort erhalten. In dem Brief hält sie fest, dass keine vertragliche Bindung zwischen ihr als Autorin des Buches “Russlands Krieg gegen die Ukraine: Worum geht es? Fakten und Perspektiven” und der Theodor Kramer Gesellschaft besteht. – Stavrou schreibt bereits am nächsten Buch. – Sie versuchte Roessler zu vermitteln, dass für sie am befremdlichsten war, dass weder er als Vorstandvorsitzender noch “der Vorstand” nach dem Übergriff im Aktionsradius Wien Kontakt mit ihr aufgenommen habe, selbst nach der Klagsdrohung des Aktionsradius Wien gab es keine Kontaktaufnahme, weder persönlich noch telefonisch noch schriftlich noch in den sozialen Medien habe sich der Vorstand dafür interessiert, was ihr widerfahren sei und ob und wie sie sich zu wehren gedenke oder ob sie hinfüro schweigen und vergessen werde. Stattdessen hatte sich der Vorstand distanziert – sogar von einer Aussage, die sie nie getätigt hatte – und weiter ihr Buch beworben.
Gegenüber Oksana Stavrou fand Peter Roessler keine Worte außer jene, dass er für die Beantwortung ihres Briefes leider noch keine Zeit gefunden habe.

Und wie reagierten die anderen Mitglieder des (wohlgemerkt ehrenamtlichen!) Vorstands, die die Distanzierung von der angegriffenen Autorin, die Kündigung und Diffamierung von mir und meiner Frau und das Entreißen der Herausgeberschaft von “Zwischenwelt” mittrugen? Und was sagt der “neue Sekretär”?

Denn unter den nicht zahlreichen Anwesenden fanden sich so viele Vorstandsmitglieder wie seit sehr langem nicht, so Prof. in Ruhe Primus Heinz Kucher, Mag. Herbert Staud, Mag.a Marianne Windsperger. Interessant: Man wollte mir unbedingt die Hand reichen, sie aufdrängen, und setzte dabei ein Gesicht auf, das sich schuldbewusst keiner Schuld bewusst war.

Und der “neue Sekretär” Dr. Alexander Emanuely? Hielt sich beharrlich im Windschatten des Herrn Roessler, mit entsprechender Körperhaltung, Gesichtsausdruck: ohne Ausdruck.

Zur Erinnerung: Der gegenwärtige Vorstand der Theodor Kramer Gesellschaft gibt die Zeitschrift “Zwischenwelt. Zeitschrift für Kultur des Exils und des Widerstands” heraus, nachdem er mir die Herausgeberschaft mit dem gleichen Schreiben entrissen hat, als er mich und meine Frau überfallsartig kündigte.

Was aber bedeutet “Kultur des Widerstands”?

Published inAktuelles