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Mein Vorstand

von Konstantin Kaiser

In den mir nun aufgezwungenen „Mußestunden“ versuche ich manchmal, mich in die Köpfe jener Mitglieder des Vorstands hineinzudenken, die mich mannhaft in meiner Abwesenheit als Sekretär der Theodor Kramer Gesellschaft und als Herausgeber von Zwischenwelt, Zeitschrift für Kultur des Exils und des Widerstands, abgesetzt und meine Frau mit gleicher Post gekündigt haben. Die Schwierigkeit dabei ist, dass man nur die Gedanken erraten kann, die jemand hat. Aber es fehlen mir einfach Hinweise auf das, was diese Leute bewegt, weil sie sich nicht artikulieren. Vielleicht kommunizieren sie auf geheimen Kanälen oder ihr kollektives Schweigen ist dahin zu deuten, dass sie ein Geheimnis bewahren, oder es ist einfach so, dass ich das, was mir und Sonja widerfahren ist, einfach zu wichtig nehme, zum Beispiel geht es ja auch darum, welchen Film man sich heute Abend anschauen mag, also um kulturelle Betätigung, oder um einen Termin beim Orthopäden. Letzteres halte ich in Anbetracht des Altersdurchschnitts meiner lieben alten Freunde für das Wahrscheinlichste.

Warum sie aber den Mund nicht aufbringen, außer um diffamierende Unwahrheiten über mich und Sonja Pleßl zu verbreiten, bleibt ihr Geheimnis. Mir bleibt nur, sie aus dem zu deuten, was sie nicht tun. Es ist mir von keinem dieser emsig am Geistes- und Kulturleben anteilnehmenden Personen eine Stellungnahme zum russischen Faschismus bekannt, oder ein Versuch, sich mit den Kriegszielen der Russischen Föderation auseinanderzusetzen – außer natürlich die taxfrei gemurmelte Formel, dass man den Angriffskrieg verurteile, wie es die UN-Vollversammlung ja auch tat und tut.

Die Schlussworte Oleg Orlows in dem Prozess gegen ihn sind von der Homepage und der Facebookseite der Theodor Kramer Gesellschaft verschwunden, also könnte man vermuten, es handle sich bei der TKG um eine solche Solidarität mit der Ukraine, die sich mit russischer Schuld nicht befassen will, sich mit dem Faschismus einer Großmacht nicht konfrontieren möchte. Und als „bedingungslose“ bezieht sich die Solidarität mit der Ukraine nicht auf ihre Kriegsziele, sondern auf das viele Leid, das UkrainerInnen – aber auch RussInnen! ich sehe den Zeigefinger! – widerfährt, und diese Solidarität verläuft in dem alten frommen Wunsch, den UkrainerInnen das viele Leid zu ersparen, indem man ihnen einen baldigen Frieden wünscht, der freilich aufgrund der massiven militärtechnischen Unterstützung durch den Westen nicht eintritt. Also denke ich mir, ich habe hier mit Leuten zu tun, die einer Sarah Wagenknecht zustimmen können, und auch hier nicht verstehen, was auf dem Spiel steht. Ich habe es wohl mit Gleichgültigen zu tun, mit „im Fluge der Zeit“ abgeworfenen Ignoranten.

Published inAktuelles