Wie lange noch, bekommt so ein Mensch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Sendezeit und damit öffentliche Aufmerksamkeit?
Von Gustav Freudmann
Bereits vor einem Monat hat er in einem Interview mit der APA den israelischen Ministerpräsidenten persönlich dafür verantwortlich gemacht, dass “der Antisemitismus nicht verringert, sondern vergrößert wird und gestärkt wird”. (s. Menschen, Frauen, Kinder)

Wer geglaubt haben mag, ihm hätte, bei seinem bekannten Hang zu eher unscharfer Formulierung, vielleicht bloß die Zunge einen Streich gespielt, der wurde nun eines Besseren belehrt. Er meint das offenbar wirklich ganz genau so, wie er es gesagt hat.
Die umgehende Kritik der Israelitischen Kultusgemeinde an seiner Verbreitung antijüdischer Sterotype konterte er gestern nämlich im ORF mit dem Satz:
“Manche Leute in der Kultusgemeinde wollen das nicht einsehen, wie sehr sie dem jüdischen Gedanken, den jüdischen Menschen schaden, durch ihre Verdrehung der Gegebenheiten.”
Und das ist nun fast schon deckungsgleich mit dem klassischen Wiener Antisemitismus, wie er sich 1919 zum Beispiel in einem Flugblatt der Christlichsozialen Partei äußerte:
“Laßt euch euren gesunden Wiener Sinn durch … jüdische Verdrehungen nicht trüben!”
(zit. nach Das Rote Wien im Waschsalon Karl-Marx-Hof).
Noch ein Beispiel gefällig? Der “Völkische Beobachter” eines denkwürdigen Datums, nämlich des 12. Novembers 1938:

„Das aber soll die deutschfeindliche jüdische Auslandpresse wissen: durch Aufbauschung der Vorgänge, durch Verdrehung und Lügen nutzt sie weder sich selbst, noch den in Deutschland lebenden Juden. Eher könnte das Gegenteil der Fall sein. “
Und:
“Es liegt am Verhalten der Juden in Deutschland und vor allem am Verhalten der Juden in der Welt, welche Stellung die deutschen Juden im öffentlichen, im privaten und im geschäftlichen Leben einnehmen.“
Quelle: ANNO Historische Zeitungen und Zeitschriften
Wenn einer, der zwischen März 1938 und Mai 1945 wohl als “Arier” gegolten hätte, nun schon zum wiederholten Mal mit ringenden oder gefalteten Händen, manchmal gar mit ans Herz gelegter Hand, darauf hinweist, dass er in einem israelischen Kibbutz gearbeitet hat, jüdische Freunde, einen jüdischen Großvater und sogar einen jüdischen Schwiegervater hat, so gibt das mir, als einem derer, die seit Mai 1945 gern als “jüdische Mitbürger” tituliert werden, doch Einiges zu denken.
Beteuerungen dieser Sorte hört man ja nun nicht gerade jeden Tag, aber doch oft genug, und so gut wie immer hat es sich dabei am Ende um eine eher unangenehme Mischung aus schlechtem Gewissen und der Abscheu davor gehandelt, mit Verbrechen konfrontiert zu sein, die am jüdischen Volk begangen wurden – und werden.
Wie praktisch, dass man sich nun auch als dem linken Spektrum Zugehöriger, fernab von nationalsozialistischem Gedankengut, guten Gewissens einer Welle des Antisemitismus hingeben kann, weil diese schließlich einzig und allein durch Untaten von Juden herbeigeführt wird – und somit selbst die Verantwortung dafür, dass man dies leider tun muss, den Juden auch noch anlasten kann.