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Europa darf nicht länger warten

Aufruf an die Staats- und Regierungschefs der europäischen Länder

“So lange die Europäer auf Präsident Trump setzen, ist das ein Hoffen auf Godot”, Stephanie Babst, NATO-Expertin, 18. Mai 2025[1].

Zwischenwelt international bringt als erstes Online-Magazin im deutschsprachigen Raum den nachstehenden Aufruf an die Staats- und Regierungschefs der europäischen Länder in deutscher Sprache, der von über 500 Persönlichkeiten aus vier Kontinenten unterzeichnet wurde. Wir danken dem ehemaligen Abgeordneten zum Europäischen Parlament und Journalisten Olivier Dupuis für die Erlaubnis zum Abdruck und die Bereitstellung der Übersetzung, die auf seinem Blog am 24. April 2025 veröffentlicht wurde. Der Aufruf wurde bisher in zehn europäischen Sprachen veröffentlicht.

Zur Information:

Das vergangene Wochenende war für die Ukraine eines der schlimmsten seit dem 24. Februar 2022. In der Nacht zum Sonntag, nur wenige Stunden vor dem Gefangenenaustausch am 25.5.2025, überzog Russland die Ukraine mit Drohnen und ballistischen Raketen, zielte insbesondere auf die Hauptstadt, verletzte 80 Menschen, ermordete drei Kinder im Alter von acht, zwölf und siebzehn Jahren in der Region Schytomyr, griff ein Studentenwohnheim in Kyjiw an, ein fünfstöckiges Wohnhaus in Mykolajiw, griff in der Region Charkiw Schulen, Bauernhöfe, Getreidespeicher an[2].

“Nichts Neues im Osten” könnte man schreiben: Jedes Mal, wenn der russische Diktator in seiner diplomatischen Kriegsführung Morgenluft wittert, verstärkt sein Regime mit besonderem Zynismus die Angriffe auf das zivile Leben in der Ukraine. 

So ist es kein Zufall, dass der russische Moderator Wladimir Solowjow in seiner Polit-Talkshow Europa genau dann als Feind markiert, wenn sich Russland dank Trump in einer diplomatischen Position der Stärke sieht:

„Ihr wollt einen Waffenstillstand, und ich will, dass ihr tot seid.“

Der frühere estnische Präsident Toomas Hendrik Ilves kommentierte diese Ankündigung aus Russland so: „Wenn sie es euch direkt auf dem streng kontrollierten staatlichen Hauptfernsehsender sagen, dann solltet ihr ihnen vielleicht glauben.“[3]

Vor knapp einer Woche fanden die Gespräche in Istanbul statt, die der russische Diktator gefordert hatte, zu denen er aber dann nicht erschien, sondern bloß eine niedrigrangige Delegation schickte. Nur wenige Stunden nach Ende der Gespräche am 16. Mai 2025 griff die Russische Föderation gezielt einen Evakuierungsbus in der Region Sumy an, ermordete neun Frauen. In der Nacht auf Sonntag, den 18. Mai 2025, folgte der bis dahin  größte Drohnenangriff Russlands, riss eine 27jährige Frau aus dem Leben, verletzte ihren vierjährigen Sohn und seine Großeltern.

Vor knapp einem Monat, zu Ostern 2025, verkündete der russische Diktator eine Waffenruhe und brach sie, selbiges wiederholte sich zu den russischen Siegesfeiern am 9. Mai:  Auf Friedens-Rhetorik folgen tödliche Terrorangriffe.

“Worauf warten wir denn als Europäier?”

Diese Frage stellte der Sicherheitsexperten Nico Lange im Interview am 21. Mai 2025[4]. “Niemand wird für uns Europäer die Sicherheit und den Frieden in Europa wiederherstellen, nicht Trump, nicht der Papst und auch sonst niemand.” Abzuwarten, ob Trump “böse auf Putin” wird, ist keine Strategie. “Wir müssen von diesem Defätismus weg, Putin ist ganz stark und Putin gewinnt am Ende sowieso und da kann man nichts machen. Man kann sehr viel tun.”

Europa muss sich zu einem entschiedenen Handeln aufraffen. Russland wird im Herbst 2025 mit der verbündeten Lukaschenka-Diktatur in Belaraus “Zapad-2025” durchführen: Militärübungen zum Training eines russischen Überfalls auf das Baltikum, zu Deutsch “Westen-2025.” Mit jedem Quadratkilometer, den Russland in der Ukraine gewinnt, mit jedem getöteten Menschenleben in der Ukraine steigt die Bedrohung Europas durch den russischen Revisionismus. Das Schicksal der Ukraine ist auch Europas Schicksal.

Dieser Aufruf an die Staats- und Regierungschefs der europäischen Länder wurde von ForscherInnen, MenschenrechtlerInnen, DiplomatInnen und Intellektuellen aus folgenden Ländern unterzeichnet: Armenien, Argentinien, Aserbaidschan, Australien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Bulgarien, Estland, Finnland, Frankreich, Georgien, Griechenland, Großbritannien, Indien, Irland, Israel, Italien, Japan, Kanada, Korea, Lettland, Litauen, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Russland, Schweden, Schweiz, Serbien, Slowakei, Spanien, Tschechien, Ukraine, Ungarn, Zypern, USA.

Zu den UnterzeichnerInnen zählen:

Josef Zissels, Oberrabiner der Ukraine, Vizepräsident des World Jewish Congress[5]

Othar Zourabichvili, Präsident der Georgischen Vereinigung in Frankreich

Natalia Vysotska, Professorin für Europäische und Amerikanische Literatur, Ukraine

Andreas Umland, Stockholm Center für Osteuropäische Studien

Frank Umbach, Forschungsleiter des Europäischen Cluster für Klima-, Energie- und Ressourcensicherheit

Volodymyr Tsybulko, Sekretär der Schriftstellervereinigung der Ukraine

Anna Siewierska, Institut für Politikwissenschaften und Sicherheit, Polen

Anna Schor-Tschudnowskaja, Sigmund Freud Universität, Österreich

Sylvie Rollet, Präsidentin von “Für die Ukraine, für ihre und unsere Freiheit”, Frankreich

Antony Polonsky, Professor em. der Holocaust Studien, Brandeis Universität, USA

Anatolii Podolskyi, Direktor des Ukrainischen Center für Holocaust Studien, Ukraine

Serhii Plokhii, Professor für Ukrainische Geschichte, Havard Universität, USA

Ho Ong Thong, Schriftsteller, Überlebender der Khmer Rouge “Umerziehungslager”, Kambodscha/Belgien

John O’Brennan, Jean Monnet Professor für Europäische Integration, Irland

Mykola Nazarow, Direktor des Forschungszentrums für Regionale Sicherheit, Sumy Universität, Ukraine

Anna Müller, Professorin für Geschichte, Universität von Kansas, USA

Michael Moser, Professor für Slavische Sprachwissenschaft, Österreich

Alexander Moldavski, Leiter der Forschungsgruppe Transkulturelle Psychiatrie, Deutschland

Mats Marcusson, Mitglied der “Economists for Ukraine”, Höllviken, Schweden

Martin Malek, Politikwissenschaftler, Österreich

Pandeli Majko, ehemaliger Premierminister von Albanien

Kirill Kharatyan, The Moscow Times Russian Service, Russland

Rune Jansen Hagen, Wirtschaftsprofessor, Universität Bergen, Norwegen

Yaroslav Hrytsak, Historiker, Ukrainische Katholische Universität Lwiw, Ukraine

Jan Holoubek, Regissieur und Drehbuchschreiber, Polen

David Hirsh, Professor, Universität London und London Center für Studien über Zeitgenössischen Antisemitismus[6], Großbritannien

Gustav Gressel, Landesverteidigungsakademie, Österreich[7]

Bernard Golse, Psychoanalytiker und Psychiater, Gründer des Zeitgenössischen Instituts für Kindheit[8], sein Vater konnte aus dem KZ flüchten und schloss sich der jüdischen Armee an, Frankreich

Eiji Furukawa, Akita Internationale Universität, Japan

Bernd Wieser, Professor, Karl-Franzens-Universität Graz, Österreich

Penelope Faulkner, Präsidentin von Quê Me, für Demokratie in Vietnam, Frankreich

Eskender Bariyev, Crimean Tatar Resource Center, Mitglied des Mejlis (Rat) des krimtatarischen Volkes, Ukraine

Wolfgang Mueller, Professor für Russische Geschichte, Österreich

Anders Åslund, Stockholm Free World Forum, Schweden

Oleg Orlow, russischer Menschenrechtler im Exil, Gründer von Memorial

Vera Ammer, Übersetzerin, Mitglied von Memorial, Deutschland

Karl Schlögel, Historiker[9], Deutschland

Halyna Coynash, Journalistin, Menschenrechtsgruppe Charkiw, Ukraine

Markéta Gregorova, Abgeordnete zum Europäischen Parlament, Tschechische Republik

Krystyna Janda, Schauspielerin, Teatr Polonia in Warschau, Polen

Agnieszka Holland, Regisseurin und Drehbuchautorin, Polen  

Bitte senden Sie ein Mail an Olivier Dupuis zum Unterzeichnen des Aufrufs an die europäischen Staats- und Regierungschefs: mail@olivierdupuis.eu

Ukraine: Europa hat die Wahl

Aufruf an die Staats- und Regierungschefs der europäischen Länder

Europa kann entweder im Schlepptau der politischen Entscheidungen von US-Präsident Trump bleiben, die ohne wirkliche Absprache mit den anderen NATO-Mitgliedstaaten getroffen wurden, oder beschließen, sich auf seine Stärken zu stützen und die Sicherheitsinteressen der Ukraine und seine eigenen durchzusetzen.

Für die meisten NATO-Mitglieder ist Sicherheit in Europa in Zukunft undenkbar, wenn Russland in der Ukraine nicht eine klare, unbestreitbare militärische Niederlage erleidet. Dies ist die notwendige und wahrscheinlich auch ausreichende Bedingung, um die Voraussetzungen nicht für einen Regimewechsel zu schaffen, über den allein das russische Volk zu entscheiden hat, sondern für die Ablösung des in Moskau herrschenden Kriegsclans durch eine Gruppe pragmatischer Führender, die mit der imperialistischen Politik der gegenwärtigen russischen Behörden brechen wollen.

Die europäischen Länder müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass die Trump-Regierung sich weigert, die Ukraine in die NATO aufzunehmen, und dass sie nicht in der Lage ist, eine ernsthafte Alternative im Hinblick auf Sicherheitsgarantien für die Ukraine zu formulieren. 

Wir appellieren daher an die europäischen Regierungen, auf der Grundlage der Forderung des US-Präsidenten den Einsatz von Friedenstruppen durch folgende Maßnahmen vorwegzunehmen

● Sofortige Entsendung von 30.000 Soldatinnen und Soldaten zur Verstärkung der ukrainischen Streitkräfte, die für die Verteidigung der 1000 km langen Grenze zwischen Belarus und der Ukraine zuständig sind, um das Risiko einer möglichen direkten Verwicklung von Belarus in den Krieg zu begrenzen;

● Bereitstellung einer Truppe von 50.000 Soldatinnen und Soldaten, die innerhalb von drei Monaten die ukrainischen Streitkräfte zur Verteidigung der russisch-ukrainischen Grenze in den Regionen Sumy und Charkiw verstärken sollen;

● Vorbereitung einer 100.000 Mann starken Truppe, die nach dem Abzug der russischen Streitkräfte aus der Ukraine oder deren Niederlage an der Seite der ukrainischen Streitkräfte an der Verteidigung der russisch-ukrainischen Grenze in den Gebieten Luhansk und Donezk teilnehmen soll.

Der Auftrag dieser europäischen Streitkräfte beschränkt sich auf die Verteidigung der internationalen Grenzen der Ukraine durch die Verhinderung oder Neutralisierung jeglicher Einfall- oder Invasionsversuche der russischen Armee. Im Rahmen dieses Auftrags werden diese Streitkräfte in das allgemeine militärische Dispositiv der Ukraine integriert.

Wir fordern die Regierungen der europäischen Länder auch nachdrücklich auf, sich bereitzuhalten, um eine mögliche Unterbrechung der US-Militärhilfe für die Ukraine auszugleichen.

Veröffentlichungen:

Bulgarisch in Икономически живот:  https://ikj.bg/novini/stotitsi-vidni-obshtestvenitsi-poiskaha-evropa-da-izprati-180-hil-voenni-v-ukryna/

Englisch in Euromaidan Press: https://euromaidanpress.com/2025/04/24/europe-at-a-crossroads-open-letter-calls-for-180000-european-troops-to-defend-ukraine/

Französisch in Esprit: https://esprit.presse.fr/actualites/esprit/ukraine-l-europe-a-l-heure-des-choix-45950

Italienisch in Linkiesta: https://www.linkiesta.it/2025/04/appello-europa-truppe-ucraina-putin-confini-guerra/

Norwegisch in Geopolitika: https://geopolitika.no/ukraina-appell-til-europas-stats-og-regjeringssjefer/

Polnisch in Wyborcza: https://wyborcza.pl/7,75399,31935458,apel-intelektualistow-ws-ukrainy-wsrod-sygnatariuszy-fukuyama.html

Russisch in L’Européen: http://www.leuropeen.eu/2025/04/23/%D1%83%D0%BA%D1%80%D0%B0%D0%B8%D0%BD%D0%B0-%D0%B5%D0%B2%D1%80%D0%BE%D0%BF%D0%B0-%D1%81%D1%82%D0%BE%D0%B8%D1%82-%D0%BF%D0%B5%D1%80%D0%B5%D0%B4-%D0%B2%D1%8B%D0%B1%D0%BE%D1%80%D0%BE%D0%BC/

Spanisch in Letras Libres: https://letraslibres.com/politica/ucrania-europa-en-el-momento-de-las-decisiones/08/05/2025/

Ukrainisch in L’Européen: http://www.leuropeen.eu/2025/04/23/%D1%83%D0%BA%D1%80%D0%B0%D1%97%D0%BD%D0%B0-%D1%94%D0%B2%D1%80%D0%BE%D0%BF%D0%B0-%D1%81%D1%82%D0%BE%D1%97%D1%82%D1%8C-%D0%BF%D0%B5%D1%80%D0%B5%D0%B4-%D0%B2%D0%B8%D0%B1%D0%BE%D1%80%D0%BE%D0%BC/


[1]https://www.ardmediathek.de/video/europamagazin/nach-den-gespraechen-in-istanbul-wie-kann-es-frieden-fuer-die-ukraine-geben/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL2V1cm9wYW1hZ2F6aW4vNDQ0YWFkOWEtMTBmMS00YzlhLThmMjMtZGMyYjM5MzhhYmFi

        Stephanie Babst, ehemalige Mitarbeiterin des Internationalen Stabs der NATO, ist Autorin des 2023 erschienenen Buches “Sehenden Auges: Mut zum strategischen Kurswechsel.”

[2]Ukrainisches Außenministerium, Botschaft der Ukraine in Österreich, 25.5.2025, https://www.facebook.com/ukremb.at

[3]ntv liveticker Ukraine vom 24.5.2025

[4]https://www.n-tv.de/mediathek/videos/politik/Experte-veraergert-Europaeer-muessen-von-Defaetismus-weg-article25782136.html

[5]https://www.worldjewishcongress.org/en/bio/josef-zissels

[6]https://www.timesofisrael.com/oct-7-is-not-a-watershed-event-for-uk-antisemitism-but-did-bring-it-to-a-boil-says-expert/

[7]Siehe Interview mit Gustav Gressel vom 15.5.2025: https://www.youtube.com/watch?v=y6myzMAjKFk

[8]https://fr.wikipedia.org/wiki/Bernard_Golse, https://www.icenfance.org/

[9]Autor des Buches: Entscheidung in Kiew: Ukrainische Lektionen

Published inAktuellesAllgemeinZwischenwelt International
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