13.Jänner 2025
Von Konstantin Kaiser
Ich bin für Unterscheidungen. Gibt es denn schuldige Opfer? Der oder die mit der Waffe in der Hand der Gewalt widersteht – ist kein unschuldiges Opfer? Habe er oder sie doch mit seinem Tod rechnen können und müssen? Also ist, wer bedenken müsste, was ihm geschehen kann, ein Schuldiger?
Mein Unbehagen an der Rede von den unschuldigen Opfern bezieht sich darauf, dass sie deren Unwissenheit, Untätigkeit oder Ahnungslosigkeit adelt, sie eines Mitgefühls würdigt, das man den KämpferInnen versagt.
Nichts schlimmer als unschuldig aus der Welt der Lebenden zu scheiden! Bevor wir die Unschuldigen aber aus ihren Gräbern aufrufen, gegen die Schuldigen zu zeugen, sollten wir aber diese Schuldigen und ihre Untaten benennen. Warum massakrierten sie „Unschuldige“?
Aus der Sicht der Täter, wenn man nicht unkontrollierte, ziel- und planlose Gwalttätigkeit unterstellt, waren jene Unschuldigen am falschen Ort zur falschen Zeit. (Sie könnten etwas gesehen haben). Oder sollten hier nicht mehr sein. (Andere sollten angesiedelt werden). Sie gehörten dem falschen Volk an oder standen im Weg. Oder die Vorräte reichten nicht mehr. Oder waren auf einer Schwarzen Liste und nicht rechtzeitig geflohen. Oder weinten zu laut. Oder besaßen etwas, das der Mörder haben wollte. Oder versuchten davonzulaufen. Oder konnten das Schutzgeld nicht aufbringen. Oder wurden verdächtigt, für den Feind zu spionieren. Oder wurden verdächtigt, später einmal vielleicht Widerstand zu leisten. Oder sprachen mit dem falschen Akzent und hatten die richtige Schuhnummer.
Das andere Schlimme an der Rede von den unschuldigen Opfern ist, dass der Zusammenhang zwischen dem, was ihnen geschehen ist und seinen Ursachen und Verursachern ununtersucht und unerörtert bleibt. Sie werden von einer Sahra Wagenknecht und Ihresgleichen als Kollateralschäden bedauert und abgetan und die ganze Kette der Ursachen, die zu ihrem Leid geführt hat, wird als beliebig dargestellt, als tragischer Unfall, unglücklicher Zufall. Statt dass man in jedem einzelnen Fall konsequent auf Aufklärung bestünde, wird so aus dem Fall ein Unfall und der Unfall wird zum Zufall.
Und so verdreht sich die Rede von den unschuldigen Opfern von einer Anklage zu einem Freipass für die Täter.