Skip to content

Versuch über Elazar Benyoëtz

Von Konstantin Kaiser

Entstanden aus Anlass der Verleihung des Theodor Kramer Preises für Schreiben im Widerstand und im Exil an Elazar Benyoëtz.
Geschrieben auf der Fahrt von Innsbruck nach Salzburg im Jahre 2010. Von der frei gehaltenen Rede im Literaturhaus Salzburg ist nur noch dieses Fragment erhalten.

„Vielzeitig“ – Brief Adornos an Elazar Benyoëtz – fordert eine Wende in der Betrachtung deutsch-jüdischer Literatur, Alfred Kerr sei nicht auf die gleiche Stufe zu stellen mit Karl Kraus (der ein Genie war), Stefan Zweig ist nicht gleich Franz Kafka anzusehen.

Hier ärgert die implizite Gleichsetzung Zweigs mit Kerr, schmerzt aber, dass Adorno ausgeht von einer Normalität der Moderne, die damals schon – 1964 – Wertungen zulässt, ohne erst zu fassen, zu retten, was sonst verloren sein könnte. Eine heroische Konstruktion der Moderne entlang den Abgründen der Zeit (nachzulesen in „Noten zur Literatur“), war Elazars Sache nicht.

„Deutsch zu sprechen hast du dir verboten“, heißt es in einem Exilgedicht Viertels – das reimt sich dann auf die Frage, in welcher Sprache man dann sprechen solle mit seinen Toten. Deutsch: die Sprache der Toten, und zugleich weitergesprochen von Lebendigen und Allzulebendigen. In diesem Widerspruch hat Elazar Benyoëtz sein sprachliches Zwischenreich errichtet. Sein paradoxes Intermundium, das sich dem schicksalhaften Gang der Dinge nicht aussetzt, nicht preisgibt, zwar dem deutschen Geiste in der Fülle seiner Überlieferung sich befreundet, doch nicht unterwirft, die Position des Außerhalb nicht aufgibt.

In diesem erdichteten Intermundium, dieser Zwischenwelt, soll jene Weisheit herrschen, die wie ein reiner Hauch Gottes ebenso im Weltenbau waltet wie in Pflanze und Tier und im menschlichen Herzen, und das klare Gefühl wird hier zum Gedanken. Zwar kein Paradies, in dem man leben kann, doch ein Paradies freischwebenden Denkens und Fühlens, von dem uns Kunde zu tun, honigsüß und widerborstig, autoritativ und zweifelvoll sich Elazar Benyoëtz einen Dichter nennt.

So verteidigt er die Sprache gegen die Sprache, nicht ohne gelegentliche Reminiszenzen auf Karl Kraus, verteidigt die Würde der deutschen Sprache gegen die Erbärmlichkeit der Zustände, die sich in ihr bespiegeln.

Aber im Inneren jenes Intermundiums, aus dem die Einsätze (die Ein-Sätze, die Aphorismen), zu uns dringen, herrscht – für mein Empfinden nicht die bittere Rechthaberei des um die Erfüllung seiner Unheilsverheißung gebrachten Propheten, nicht die Tugend, die sich schmal und scharf vom Weltlauf abzuheben wünscht, sondern ein Duft von Bäumen vielleicht, von Jasmin und Eukalyptus. Solch eine Heiterkeit des Schaffens und Lernens ist in diesem Intermundium.

Elazars Aphorismen sind Einsätze, aber auch Ausfälle, sicht- und lesbarer Text auf einem Grunde des Ausgesparten – oft lesen sie sich, als wären sie die Eck- und Wendepunkte eines längeren Essays, in dem Erinnern sich mit Erfahrung trifft und Philosophie mit Weisheit kopuliert.

Elazars Aphorismen sind nicht Resümees, sondern Anfänge, und als solche Anfänge stehen sie oft in unauflöslichem Widerspruch zueinander, als strebten sie von ganz verschiedenen Seiten einem gemeinsamen Zentrum zu. Dieses gemeinsame Zentrum erscheint nicht als die Wahrheit. Sie ist kein Ziel und ist es auch hier nicht. Es ist, als würden all die Einsätze einer gemeinsamen zentripedalen Kraft ausgesetzt sein, der gegenüber sie genug Eigengewicht und Energie aufbringen müssen, nicht unvermerkt ins Zentrum zu stürzen. Darum präsentieren sie sich uns voller Grazie, vibrieren von Gedankenströmen, verstehen zu lächeln, uns zuzuzwinkern und zuzuwinken in ihrem raschen Aufleuchten. Sie verweisen auf ein Zentrum, ohne sogleich in es zu stürzen, sie sind keine paulinischen Seelen, sondern moderne ästhetische Gebilde. Manchmal wirken sie aber wie messianische Splitter.

Wenn es dem Rabinen Elazar Benyoëtz um Gott geht, so  mit ihm um menschliche Würde.

Published inZwischenwelt International