Skip to content

Brief an die FriedensfreundInnen

Zur gegenwärtigen politischen Situation in Österreich
Wien, 10. Jänner 2025

Von Leander Kaiser

Mit der FPÖ kommt eine Partei an die Regierung, die sich gegen „Kriegstreiberei“ – nämlich die Unterstützung der Ukraine mit Waffenlieferungen und Geld für die Kriegsführung – gewandt hat, eine Partei, die für eine strikte Einhaltung der österreichischen Neutralität und für eine Verbesserung des Verhältnisses zu Russland eintritt. Das stimmt weitgehend überein mit dem, was viele Freunde des Friedens schon seit März 2022 gefordert haben. Sie müssten nun eigentlich eine gewisse Genugtuung verspüren, wenn sie diese Partei als Antifaschisten, die sie ihrem Selbstverständnis nach sind, nicht verabscheuen und als Gefahr für die Demokratie sehen würden. Unsere mehr oder weniger linken Friedensfreunde haben diese Partei sicher nicht gewählt. Aber sie müssen sich doch fragen lassen, ob ihre eigene Agitation gegen „Kriegstreiberei“ und „Kriegsgeheul“, gegen die Unterstützung des Verteidigungskriegs der Ukraine nicht auch der „falschen Seite“ genützt haben kann. Objektiv (auch ohne subjektive Absicht) auf der falschen Seite zu landen, ist aber kein Zufall, sondern Ergebnis der eigenen Politik in einer bestimmten historischen Situation.

Unter den FriedensfreundInnen, an die sich dieser Offene Brief wendet, verstehe ich nicht die, die es ablehnen, die russische Aggression zu verurteilen, die sie rechtfertigen, die die Ukrainer als bloßes Kanonenfutter im Stellvertreterkrieg für die USA und den Westen sehen, die dem ukrainischen Volk keine nationale Selbstbestimmung und keinen eigenen politischen Willen zubilligen. Ich wende mich nicht an die, die jeden ukrainischen Misserfolg mit Häme kommentieren und von der Überlegenheit Russlands schwärmen, Selenskyj einfach lästig finden, die wegen günstigerer Gaspreise einen raschen Frieden auf Kosten der Ukraine herbeiwünschen. Man kann diese und jene FriedensfreundInne, an die ich mich wende, nach einem einfachen Kriterium unterscheiden: die Ansichten der einen würden in Russland wohlgelitten sein, während die Empörung über „Kriegstreiberei und Kriegsgeheul“, wenn sie sich ehrenhafterweise ebenso gegen die russische Propaganda wenden würde, in Russland wohl ins Gefängnis oder ins Straflager führen würde.

Vielleicht ist durch den Wahlerfolg der FPÖ nun manchen auch ein bisschen mehr über die historische Situation, in der wir uns befinden, klar geworden. Eine große imperialistische Macht mit einer diktatorischen faschistischen Führung hat völkerrechtswidrig einen Krieg begonnen, um zumindest große Teile eines Nachbarlandes zu annektieren und dem Rest ihren Willen aufzuzwingen. Zugleich fördert diese Macht mit verschiedenen Methoden meist rechtsradikale Gruppierungen, die Russland freundlich gesinnt sind und für einen „Rückbau“ oder die Auflösung der europäischen Union eintreten. Diese Gruppierungen befinden sich europaweit im Aufwind, da und dort schon fast oder in absehbarer Zeit an der Regierung. Wenn da nicht die Stunde des Antifaschismus geschlagen hat, des NIE WIEDER, dann wüsste ich nicht wann (außer, wenn es zu spät ist). Es scheint mir unmöglich, unseren rechtsradikalen Vorbereitern einer „illiberalen Demokratie“ unter autoritärer Führung, den Faschisten oder Halbfaschisten (oder wie auch immer wir sie nennen) entgegenzutreten, wenn man in der zentralen Frage der Außenpolitik, die längst schon zentrale Frage auch der Innenpolitik in Europa ist, mit ihnen mehr oder weniger einer Meinung ist und sie durch die eigenen Friedensaktivitäten direkt und indirekt unterstützt. Die historische Logik, fälschlich Kriegslogik genannt, ist härter und realer als die Rede von „Friedenslogik“ (München 1938, Minsk 2015). Sie stellt auch noch die, die aus humanem Mitgefühl mit den menschlichen Opfern, den Verletzten und Toten auf beiden Seiten, ein Ende des Gemetzels, ein Ende des Krieges und einen Frieden mit welchem Ausgang auch immer herbeiwünschen, auf die falsche Seite: die des Aggressors und der Feinde der Demokratie.

Der Protest und der Widerstand gegen Pläne und Maßnahmen der Regierung Kickl müsste ebenso die Außenpolitik wie die Innenpolitik betreffen: Dagegen auftreten, dass Österreich so wie Ungarn aus dem europäischen Konsens, die Ukraine in ihrer Existenz und ihrem Verteidigungskrieg entschieden zu unterstützen, aussteigt. Es wird so und so nicht genügen, auf antisemitische Burschenschaften und irgendwelche „Kellernazis“ hinzuweisen, die mit der FPÖ zur Macht kämen. Parolen wie „Nazis raus“ mögen dem eigenen Anhang gefallen; sie sind nicht nur falsch, da die FPÖ einfach kein nationalsozialistisches Programm hat, sondern verharmlosen im Grunde zugleich die Verbrechen des Nationalsozialismus. Die Antifaschisten müssen ihre wirklichen Gegner analysieren und kennen, statt sich durch in ihrer Wirkung längst verbrauchte Denunziationen das Denken zu ersparen.

Liebe FriedensfreundInnen, dieser Brief ist sicher etwas kantig formuliert. Aber er enthält auch die Einladung, gemeinsam über die Aufgaben von AntifaschistInnen in der heutigen Situation nachzudenken.

Leander Kaiser, Dr. phil., bildender Künstler, geb. 1947 in Innsbruck. Lebt und arbeitet in Wien, veröffentlichte zuletzt den Essayband „Eine andere Moderne?“

Homepage: www.leanderkaiser.com

Leander Kaisers Bild mit dem Titel „Die Ratte als Rattenfänger“ (Rechter Teil des Diptychons „Die Folgen der schlechten Regierung“) wurde am 11. Mai 2024 in „Zwischenwelt International“ dokumentiert.

Published inZwischenwelt International