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Gedichte von Walter Freudmann (III.)

An die Töchter der Millionäre Hongkongs

Auf den Straßen unter den Arkaden
liegen bloß und elend arme Leiber,
müd und schamlos hingestreckt.

Und vorüber gehen vornehm
Fraun in Seide und Geschmeide
ohne Sorge, ohne Blick.

Arme Kulis, Kind und Kegel
haben hier die Lagerstatt.
Und die teuren stolzen Weiber
gehn ihrem Vergnügen nach.

Nein, lasset euch nur nicht stören
euren Reichtum, eure Pracht.
Diese Kulis sind so stille,
schlafen auf der Straße nackt.

Antlitz fein und Edelsteine,
Hüften rund und fließend Seide
Kulis, Fraun und Kinder schlafen
und sie tun euch nichts zuleide.

In Hongkong, September 1939


Die Menschenbahn

Einen Wagen mühsam seh ich weiterrücken.
Die Menschen, die den Wagen schieben
so viele Kilometer bis zur nächsten Stadt
sie tragen keine Hemden und nichts an den Füßen,
sie tragen weder Tropenhelm noch Kulihut.
Nur eine dünne Lumpenschürze um die Lenden.
Und glänzend von dem heißen Strom des Schweißes
vermischt mit Sand und Staub ist ihre dunkle Haut.

In einem Gleis, so wie‘s in andern Ländern
bestimmt ist für die dampfgetriebnen Züge
zieht Wagen hinter Wagen so an mir vorbei,
bewegt von Menschen nur, die lautlos stumm
und mühsam vorwärts schieben überschwere Last.

In den geschobnen Wägen sitzen andre Menschen.
Die zahlen zwanzig Cent, dass sie sich schieben lassen
von purer Menschenkraft.

Liu Tschow*, Provinz Kwangsi**, 18. Mai 1941

* Guangxi
** Liuzhou


Die Flussschlepper

Gebunden gehen alle sie,
voran da geht die Frau,
und schleppen an dem langen Seil
das Boot den Fluss hinauf.

Das Seil gelegt um ihre Brust
so gehn sie vorwärts stoßend,
als wär’s ein Feind, ein Widerpart,
dem sie entgegenstreben.

Dabei ist hinten ihre Last,
die auf dem Wasser gleitet,
so lang am Ufer, auf dem Pfad
am Seil voll Kraft sie ziehen.

Die Frau, wohl sechzig Jahre alt,
mit weißem Haar und Runzeln
so zieht an ihrem Seile sie
die Barke ohne Murren.

Ihr Mann, weit älter noch als sie,
hält noch das Steuer sicher
und auch der Sohn, der Barke Herr,
zieht mit in dem Gespann.

Die Schwiegertochter hält an Bord
in Schuss Segel und Seil
und nur das kleine Enkelkind
fährt frei und soregenlos.

So ruderte und schleppte schon
der Väter lange Reihe.
Haben nicht Bett, nicht Haus gekannt
so lang sich denken lässt.

Verschränkt die Hände halten sie
am Rücken und sie schweigen.
So schreiten sie den Pfad am Ufer
wie’s schon immer war.

1. Juli 1941


Auf der großen Straße

Beim Anblick einer von niemand beachteten Leiche auf einer der belebtesten Straßen Tschungkings*, der Hauptstadt von Kuomintang**-China

Seine Augen offen weit
blicken leer zum Himmel
aus dem Antlitz schmal und bleich
Auf der großen Straße

Keiner hält die Schritte an
Jeder eilt gleich weiter
Einsam bleibt der tote Mann
Auf der großen Straße

Hungerte sein Leben lang
Schuftete und fronte
Bis er fiel und hungernd starb
Auf der großen Straße

Nur mit Lumpen zugedeckt
Liegt er reglos still
auf das Pflaster hingestreckt
Auf der großen Straße

Hundert starben so wie er
Tausend, viele tausend
Ohne Brot und ungehört
Auf der großen Straße

Jänner 1941

*Chongqing
**Guómíndang


Ein chinesischer Freiheitskämpfer

I.

Nimmer sehe ich die golden schönen Tage,
die träumend ich ersehnt mein Leben lang.
Die Freiheit seh ich nimmer, nicht den Frieden,
das Glück der Menschen, das ich nur geahnt.

Und jenes Gute, Helle seh ich nimmer
und nicht des Sieges großen Tag.
Nimmer erleb ich, dass zur Arbeit schreiten,
voll Lust die Menschen und voll Schöpferkraft.

Sie halten mir gefesselt auf dem Rücken
die Hände und es schmerzte, dass ich schreien wollte.
So führen mit Musik nun durch die Stadt mich,
als Schreckensbild, das jeder sollte sehn.

An meiner Seite zwei sind’s, die mich halten.
Vier weitere dahinter gehn mit dem Gewehr.
Ich hör den Marschtritt derer, die mich bald
erschießen werden, wenn es erst befohlen wär‘.

Ihr meint vielleicht, ich fühlte Furcht und Schrecken,
weil ihr mir tun könnt, was und wie es euch beliebt?
Doch Hass nur fühle ich und fühl Empörung
und ich fühl eure Ohnmacht voller Hohn.

Wohl seh ich eilend kommen all die Menschen,
seh wie sie schaun verstummend diesem Auflauf zu.
Doch sind sie Kraft für mich in dieser letzte Stunde,
und weiß, dass sie darum im Stillen euch verfluchen.

Ade nun, all ihr Menschen, die ich so sehr liebte!
Ade auch, euch Genossen aus dem alten Kampf!
Ade auch, teure Eltern, ihr geliebten!
Ade nun meine Heimat und mein Vaterland!

Ich seh euch niemals wieder, grüne Matten,
euch meine Straßen, dich vertraute Stadt.
Den Leib, den haben sie gefangen und genommen.
Ein Leichnam wird bald sein an seiner statt.

Seid glücklich, ihr, die werdet weiterleben!
Grüßt mir des Sieges lichten Zukunftstag!

II.

Nun liegst du viele Stunden schon in kühler Erde
und aufgehört zu schlagen hat dein Herz.
Du sahst den Tag heut nicht mehr bis zum Abend werden,
du bist nicht mehr mit uns, von Schmerz sind wir erfüllt.

So wie du schrittest heute vor den Bajonetten
und vor dem Reiter, der voll feiger Mordeslust,
das Antlitz bleich, doch aufrecht, fest und sicher,
so wirst für immer leben du in unsrem Geist.

Alles hast du gegeben, was du hast besessen
und selbst das Teuerste, das Leben, das gabst du zuletzt.

Pose, Provinz Kwangsi*, 14. August 1941

* Guangxi


Im Barackenviertel

Auch ging ich hin, wo arme Mädchen sind.
Es führten mich die Freunde eines Abends.
Vor jeder Türe der Baracke stand ein Mädchen.
Tür reihte sich an Tür. Ich sah sie wartend stehn.
Die einen still, die andren lockend rufend,
sie aufzusuchen da in ihrem engen Raum,
wo weiß bespannt der Tisch, wo Sonnenblumenkerne
auf hübsch bemalten Tellern, wo das Teegeschirr,
wo einladende Zigarettendosen,
wo seidne Decken über breiten Betten
den Augen bunt und säuberlich sich boten an.

Gesumm erfüllte hier die trüben Gänge.
Die Öffnungen der Kammern strahlten hell
vom steten Strom der vielen hundert Männer,
die voll Begierde durstig leerer Tage
sich wollten eine Stunde fühlen lebensvoll.

Ein Dollar Unterhaltung, fünf für volle Paarung.
Das Geld kassiert am Ausgang jener wohlversorgte Mann,
der ihren Eltern abgekauft hat all die Mädchen,
der ihnen Reis gibt und den Raum für Nacht und Tag.

In Liu Tschow*, Provinz Kwangsi**, 11. Oktober 1941

* Liuzhou
** Guangxi


Die Kinder im Dorfe

Die Kinder, die kommen manchmal,
sie werfen Steine und Sand
und halten mich ab vom Lesen
oder sie bringen einige Bohnen
die sie mir in die Hand drücken
und dann laufen sie eilig fort.

Oft kommen sie an meine Tür
und sie bleiben stehn auf der Schwelle
die sie nicht zu überschreiten wagen,
sehn mich an mit fragenden Augen,
denn wir können nicht Worte wechseln.
Stummes Spiel bleibt unsere Freundschaft.

Über den stummen Fremden staunen sie.
Manchmal kommen sie nur, um sich
einfach zärtlich an mich zu schmiegen,
als hätten sie schon lang und sehnlich
auf einen wie mich nur gewartet.

1942


Published inLyrikZwischenwelt International